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Baumann/Lyon über Daten, Drohnen, Disziplin

coverjetzt erst habe auch ich das bereits 2013 erschienene büchlein gelesen, das in dialogischer form auf einen emailschriftwechsel (verschlüsselt oder unverschlüsselt??) zwischen dem in england ansässigen großphilosophen zygmunt bauman [1] und dem kanadischen überwachungssoziologen david lyon [2] im jahre 2011 zurückgeht: daten, drohnen, disziplin. ein gespräch über flüchtige überwachung. zygmunt baumann und david lyon, suhrkamp (berlin) 2013 [3].

stark beginnt der text mit der beschreibung des neuen im entstehenden überwachungssystem auf der basis soziologischer begriffe, in meinen worten: big data und (un)sicherheitsproduktion durch die formung statistischer typen als alter ego jeder person – vor allem lyons in frageform gekleidete beiträge treiben diesen strang voran. die fluchtrichtung des textes verläuft dann aber leider nicht in richtung – ganz allgemein gesprochen – produktionsweise, privateigentum an (auch den kontrollgesellschaftlichen) produktionsmitteln, arbeitsbedingungen und wie lassen die sich trotz und gegen kontrollgesellschaftliche tendenzen organisiert und in menschengemäßer form aneignen bzw. transformieren, sondern es geht um die verfassung des individuums und was ethisch-moralisch skandalös ist bzw. wünschenswert wäre.

so wird z.b. die würde des menschen anthropologisch hergeleitet und bekommt damit essentialistischen charakter – und nicht als ergebnis der art und weise, wie menschen zusammenarbeitend leben. das mündet dann in ein gänzlich unmaterialistisches schlusskapitel um den begriff der hoffnung(slosigkeit). ironischerweise bemängelt ausgerechnet die liberale wochenzeitung „die zeit“ in ihrer besprechung des bändchens [4] an dieser stelle das abhandengekommensein des staates als adressat für forderungen. aber der staat – mit „sozialstaat“ meint die zeit wohl auch nichts anderes als den bürgerlichen staat, dessen historische und logische aufgabe die garantie der rahmenbedingungen der kapitalistischen wirtschaftsweise ist – gründet bei mir nicht erst seit snowden keine hoffnung mehr. andere phänomene hingegen, die mich interessieren (anomalien im kontroll- und eigentumsregime, die in progressiver weise über kontrollgesellschaft und kapitalismus hinausweisen, etwa selbstverwaltete bedürfniserhebung, produktions-, distribionskontrolle auf der basis freier software), kommen allerdings auch nicht vor. und das ist sehr schade, denn wenn sie zur sprache kämen, dann wären wir am ende des textes nicht auf eine erörterung über hoffnung und hoffnungslosigkeit zurückgeworfen.

anfangs glaubte ich, das sei unkenntnis auf seiten der beiden diskutanten geschuldet: wer selbst nur die konsumistische perspektive einnimmt, kann diese zwar versuchen kritisch zu wenden. das freie und selbstmachbare „internet“, technikarbeit jenseits des profitzweckes, die in form freier software ja an vielen stellen sogar den unerlässlichen unterbau der itk-profitmaschienen bildet, verschwindet dieser perspektive in einem blinden fleck, nahm ich an. aber bei fortschreitender lektüre sammelten sich bei mir gründe für die vermutung, dass es sich vielmehr um eine bewußte entnennung handelt. aufgrund der antikommunistischen (weil differenzierung am kommunismusbegriff verweigernden), fast totalitarismustheoretisch (obgleich die verherrlichung der „mitte“ immerhin unterbleibt) anmutenden passagen des textes (die zentrale stelle, 105f, 107; auch im „hoffnungskapitel“, s.188) liegt es m.e. nahe, dass sie nicht vorkommen dürfen: es darf offensichtlich keine hoffnung geben, schon gar nicht wenn sie kommunistisch sein könnte.

was angesichts der biographie baumans zwar nachvollziehbar ist, verbaut aber leider jegliche perspektive einer technologiekritischen und dennoch produktivkraftentwicklungsbasierten utopiearbeit in richtung einer gesellschaft von freien und gleichen. dort wo die überwachungskritik in kapitalismuskritik münden müsste, kommt konsum- bzw. noch platter konsumentenkritik. dort wo ich den hinweis auf (und die kritik der widersprüchlichkeiten von) subversionen und anomalien im staatlich-privateigentümlichen kontroll- und machtsystem erwarte, kommt kulturpessimismus. wo führt eine so hermetische sicht auf die dinge hin? handlungsfähigkeiten erweitert sie nicht, da sie gerade die aneignungs- und subversionspraxen ausblendet, die über das bestehende hinaus- und am drohenden vorbeiweisen. kunstruktiver und ermutigender las sich da die beilage „moderne technik“ [5] der jungen welt vom 25.2.15. erfreulich, dass die bürgerrechtsszene die bedeutung freier software erfasst hat und die förderung derselben in ganz konkrete, kleinschrittige regulierungspolitik runterbricht (vgl. z.b. den schwerpunkt der aktuellen ausgabe der „vorgänge“ [6]). und was die widersprüche (statt hoffnungslosigkeit) der entwicklung angeht, liegt das aktuelle argument mit dem schwerpunkt „widersprüche des hightech-kapitalismus“ [7] ganz oben auf dem lesestapel.

 

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