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Dramatischer Sprung in der Produktivkraftentwicklung: Sequenzierungstechnik
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Ein Computerwerkzeug zur automatisierten Sortierung von Menschen nach ihrem genetischen Profil („Erbgut“) ist vor kurzem als Codeschnippsel bei der Programmierplattform GitHub erschienen – unter dem Titel „Genetic Access Control“. Als erster stolperte wohl ein Redakteur der Fachzeitschrift Software Development Times über die Angelegenheit. Wie das funktioniert, erklärt Florian Mai ganz gut. Die private Gen-Analyse und -Datenbank-Firma 23andme  (Werbeslogan: „Find out what your DNA says about you and your family.“ Kostenpunkt: 99$) hat sofort gegengesteuert – und den Account des Programmierers gesperrt, nicht etwa die Schnittstelle zu ihrer Datenbank („Genetics for your app.“). Denn auf dieser Schnittstelle basiert die Expansionsstrategie des Unternehmens, nachdem es in Folge staatlicher Regulierung (ja, sowas gibt es noch, sogar in den USA) keine als Gesundheitstests deklarierten breitbandigen Gentests mehr anbieten darf.

Seit eine Sequenzierung nicht mehr Jahre dauert und Hunderttausende kostet (vgl. Abb.), entstehen jenseits der staatlich finanzierten Grundlagenforschung und als sog. Spin-Offs Märkte und Geschäftsmodelle. So wie der Erfolg von Facebook auf dem Geschäft mit den aggregierten NutzerInnen- und Kommunikationsprofilen beruht, läuft das auch bei Firmen wie 23andme: Viele Kunden erlauben die Auswertung ihrer Daten zu „Forschungszwecken“, oft aus moralischen Gründen, um etwas Gutes zu tun, um dabei zu helfen, anderen zu helfen. Damit ermöglichen sie den Weiterverkauf ihrer aggregierten Gendaten an jeden, der gut dafür bezahlt (also auch nur für lukrative Zwecke) und werden selbst zur Ware im eigentlichen Geschäft. Wired berichtet, dass eine US-Tochter des Schweizer Pharmakonzerns Roche für insgesamt 60 Millionen Dollar Daten von 3000 Parkinson-Patienten auswertet. Ein Chromosonensatz samt Fragebogendaten ist damit rund 20.000 Dollar wert. Notorische Soziopessimisten weisen, wie Dietmar Dath in der FAZ vom 25.7.15 kommentiert,

auf die ohnehin beste­hende und täglich enger werdende Ver­zahnung der Informationstechnik mit den Lebenswissenschaften hin und er­innern an die Schreckensprophetie des Schriftstellers John Shirley, der schon in den achtziger Jahren, lange vor Me­dikamenten, die auf individuelle gene­tische Patienten zurechtgeschneidert werden, die Herstellung selektiver bio­logischer Waffen voraussagte. Andere wiegeln ab: Was soll’s, bleiben in Zu­kunft eben ein paar Idioten im Inter­net unter sich, man will doch ohnehin nicht lesen oder ansehen, was sie mit­ zuteilen haben. Welche von beiden Per­spektiven die realistischere ist, hängt nicht von technischen, sondern von gesellschaftlichen Fakten ab: Solange Aufschlüsselung von Herkunft und Be­schaffenheit menschlicher Erbanlagen eine Frage der Freiwilligkeit ist, kann man sich auch dem Zugriff automati­sierter Diskriminierung entziehen. Wenn derlei aber verlangt wird von Versicherungen, Arbeitgebern oder Staaten – Kuweit hat am 1. Juli dieses Jahres im Rahmen der Terrorbekämp­fung flächendeckende DNA-Tests ange­kündigt -, was dann?

Und selbst diese formale Freiwilligkeit ist in ihrer Reichweite höchst fragwürdig. Auch Facebook ist freiwillig – und dennoch falle ich in vielen sozialen Zusammenhängen raus, wenn ich nicht ganz „freiwillig“ ein sorgfältig  geführtes Facebook-Konto vorzuweisen habe. Nochmal anders fragwürdig „freiwillig“ ist die Unterschrift, die ich als Krebspatient unter die Einwilligungserklärung zur genetischen Analyse meines Gewebes setze. Tue ich es, erweitert sich das Wissen meiner Ärzte um meine Gesundheitssituation und es kommen u.U. weitere Behandlungs-, sprich: Lebensverlängerungsmöglichkeiten für mich in den Blick. Aber die Informationen über meine genetische Konstitution sind dann in der Welt, der digital-vernetzten Welt der Sicherheitslöcher, Hintertüren und Daten-Broker. Und solange da draußen der „Scheiß-Kapitalismus“ dominiert, geht es dabei nie eigentlich oder im Wesentlichen um mein Wohl und die Sicherheit meiner Daten. Beides ist dort – solange ich Glück habe – Mittel zum abstrakten, in seinen konkreten Auswirkungen oft grausamen, Zweck: Profitmaximierung, Wachstum.

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