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Kabel, Katzen, Kommunismus

[1] In den USA ist Netzneutralität vorerst abgeschafft worden. Ist das freie Internet gefährdet?

Einen schwarzen Tag fürs Internet nannte das Webportal Netzpolitik.org [2] den 14. Dezember 2017. Denn in den USA wurden die Regeln zur Netzneutralität von der Federal Communications Commission (FCC) abgeschafft. Zukünftig müssen in den USA vermutlich auch Dienstanbieter für die Übertragung ihrer Inhalte beim Internetprovider zahlen.

Erst 2015 waren diese verbindlichen Regulierungen der Telekommunikationsprovider durchgesetzt worden, die das Drosseln oder Bevorzugen von einzelnen Internetservices untersagen. Die FCC ist die US-Regulierungsbehörde für Rundfunk, Kabel und Fernsehen, vergleichbar mit der deutschen Bundesnetzagentur. Der von US-Präsident Donald Trump im Januar 2017 berufene republikanische Vorsitzende Ajit Pai ist seit Langem ein Gegner von Netzneutralität – die Rücknahme der Regelungen zur Netzneutralität war daher keine Überraschung.

Überraschend war, wie viel Widerstand sich im Vorfeld gegen die Abschaffung der Netzneutralität Bahn brach: Rekordverdächtige 23 Millionen schriftliche Stellungnahmen – fast alle gegen die Abschaffung – gingen bei der FCC ein. Es gab Onlinekampagnen, einen gemeinsamen Appell von 260 Unternehmen, aber auch Mahnwachen vor dem Privatwohnsitz des FCC-Vorsitzenden. Selbst Prominente wie die Sängerin Cher engagierten sich für Netzneutralität.

www.youtube.com/watch?v=ltzy5vRmN8Q [3]

Whopper Neutrality: Ein Burgerkonzern bricht das Thema mit einem Video auf Anschaulichkeit herunter

 

Lediglich die Telekomprovider und Kabel-TV-Anbieter stellten sich hinter den republikanischen Medien-Hardliner. Doch das alles nützte nichts: Die FCC ignorierte die Proteste und drehte die Uhr zurück.

Worum geht es bei der Netzneutralität?

Kern der Regulierung zur Absicherung der Netzneutralität war das Verbot von Websperren und des Drosselns der Bandbreite für rechtmäßige Inhalte, Anwendungen, Dienste oder Geräte. Auch war es verboten, einzelnen legalen Internetverkehr gegenüber anderem legalen Internetverkehr zu bevorzugen. Das bedeutet beispielsweise: Wenn ein Internetprovider wie die Telekom Videos vertreiben will, darf er nicht Googles YouTube-Videos blockieren oder mit weniger Bandbreite versehen.

In Deutschland gibt es keine explizite Regelung zur Netzneutralität, obwohl diese schon mehrfach angestrebt wurde und auch in dem aktuellen Sondierungsergebnis für eine mögliche neue Große Koalition als Ziel genannt wird. Es gibt aber auf EU-Ebene durch die Europäische Regulierungsstelle für elektronische Kommunikation im August 2016 durchgesetzte Leitlinien zur Netzneutralität, die für alle Mitgliedsstaaten definiert wurden. Auch die Bundesnetzagentur ist an diese Regeln gebunden.

Doch die vorgesehenen Sanktionierungen bei Verstößen sind überschaubar. Darum hat sich in Deutschland eine Praxis entwickelt, in der Provider erst einmal gegen Netzneutralität verstoßen und nur dann nachsteuern, wenn die Bundesnetzagentur das durchsetzt. Die Prüfungsverfahren dauern Monate. So geriet beispielsweise StreamOn, ein Produkt der Telekom, in die Kritik und wurde nach monatelanger Prüfung von der Bundesnetzagentur im Oktober 2017 in einigen wenigen Detailpunkten kritisiert, aber nicht untersagt. StreamOn ist eine kostenlos zubuchbare Option in den Telekomtarifen für Smartphones. Wer sich dafür entscheidet, kann die Angebote verschiedener Musik- oder Videodienstanbieter nutzen, ohne dass sie auf das jeweils gebuchte Datenvolumen angerechnet werden.

Solche kostenlos angebotene Dienste werden in der Diskussion um Netzneutralität unter dem Begriff Zero Rating zusammengefasst und sind heftig umstritten. Während die Provider sich für Zero Rating aussprechen, angeblich weil es nur um kostenlose Angebote gehe, sehen Verbraucherschützer_innen darin eine Benachteiligung von Dienstanbietern, die eben keine Deals mit den großen Providern haben. In den Regulierungen zu Netzneutralität ist Zero Rating ausgenommen und nicht untersagt. Es gibt also ein Wurmloch in den Regeln, das in der Folge zu den gleichen Problemen führt, wie sie Verbraucherschützer_innen verhindern wollten: Internetangebote für Endkund_innen, in denen die sowieso schon großen Dienstanbieter wie Google/Youtube oder Facebook oder andere kommerzielle Anbieter kostengünstig weite Verbreitung finden und kleine, vor allem nicht kommerzielle Angebote nur noch über kostenpflichtige Datenvolumen abrufbar sind.

Die Idee hinter der Netzneutralitätregulierung war, den Zustand des Internets zu Zeiten seiner Entwicklung und des Booms rund um das Jahr 2000 zu bewahren. Denn viele sehen in dem gleichberechtigten Zugang aller Martkteilnehmer_innen zu der Ressource Internet eine der zentralen Bedingungen für die Entwicklung eines sogenannten freien Internetmarkts.

Selbstredend war dieser Marktzugang nie gleichberechtigt in einem global sozialen Sinne. Darum hängt die Debatte um Netzneutralität auch immer ein bisschen schief. Denn sie klammert eine zentrale Frage systematisch aus: Wer hat überhaupt Zugang zu einem Kabel mit Internet und kann seine Daten mit diesem Kabel ins weltweite Netz einspeisen, wo sie sich dann – gleichberechtigt neben vielen anderen Daten – verbreiten können? Die gesamte Regulierungsdebatte streitet nur um das letzte Stück vom Kabel, nämlich die Verbindung vom Provider zum Endkunden. Alles was davor passiert, ist kaum reguliert: Wem gehören die Netze? Wo und wie wird ausgebaut, wer kann sie zu welchen Konditionen nutzen? Wie muss das Verhältnis der Dienstanbieter untereinander reguliert werden, wie das Verhältnis zwischen den Providern?

Netzneutralität mit privater Netzinfrastruktur?

Die Frage der Netzneutralität hängt darum eng mit der Frage von Netzinfrastruktur und einem (kostengünstigen) Netz für alle zusammen. Die ersten Runden Netzausbau bis zu den 1990er Jahren wurden allesamt von Nationalstaaten und meistens deren Telekommunikationsunternehmen übernommen. Doch diese sind heute privatwirtschaftliche Unternehmen und haben keinen Auftrag mehr, flächendeckende Infrastrukturen herzustellen. Wenn sie ausbauen, soll es auch Gewinne geben. Inzwischen bauen Anbieter wie Google eigene Netze und sind dadurch weitgehend von Regulierungsbestrebungen nicht betroffen, da ihre Inhalte über die eigenen Netze sowieso immer schnell verfügbar sind.

Wenn aber Netzinfrastruktur entweder nicht vorhanden ist oder von privatwirtschaftlichen Akteuren betrieben wird und dadurch die Bandbreite schlichtweg vielerorts fehlt, gleichzeitig die technischen Entwicklungen, Moden und Konsumgewohnheiten durch Onlinespiele und Videostreaming immer hochbandbreitiger werden, dann beißt sich die Katze am Ende in den Schwanz. Oder vielmehr in die Endnutzer_in.

Aber auch die nichtkommerziellen Dienstanbieter haben in dieser Auseinandersetzung keine Chance mehr. Die Preise für die Nutzung der Netze werden entweder von nationalen Marktgiganten wie in Deutschland der Telekom in die Höhe getrieben, oder sie sind von internationalen Marktgiganten wie Google gleich ganz und gar privat und gar nicht nutzbar für Dienste außerhalb von Googles Produktpalette. Wer heute beispielsweise nichtkommerzielle Videos verbreiten will, kann das nur noch über Anbieter wie YouTube realisieren. Unabhängige Plattformen geraten zunehmend in Existenznöte. Die Netze sind schon lange nicht mehr offen und erst recht nicht frei.

Ein freies, offenes Internet, wie es Internetpioniere der 1970er Jahre erträumten, ist in einem Kapitalismus, der diese Technologie integrierte und daran und darin wächst, nicht umsetzbar. Netzneutralität und Meinungsfreiheit sind sicherlich wichtige Grundpfeiler für ein offenes Internet. Aber ohne die Möglichkeit, Internet und die dazugehörige Infrastruktur an den Bedürfnissen der Menschen entlang zu entwickeln (statt entlang von Kapitalinteressen), kann es kein freies Internet geben. Über kurz oder lang braucht es eine Vergesellschaftung von Internetinfrastrukturen und deren Verwaltungen: Netzen, Providern und Software.

Dieser Artikel erschien zuerst in ak – analyse & Kritik – Nummer 634 [4]vom 23.1.2018

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