Feed on
Posts
Comments

Auf der Konferenz „Netz für alle“ werden sich zwei Foren mit der Frage „Wem gehört das Netz“ befassen – eines gilt den Inhalten, ein weiteres der technischen Infrastruktur.

Rainer Fischbach, Teilnehmer des Panels 3 „Wem gehört das Netz I / Infrastruktur“, hat dazu sieben Thesen verfasst. Im folgenden dokumentieren wir seine Thesen unter dem oben gewählten Titel.

„Das Netz hat einen Körper“ – Über Revenue-Flüsse, materielle Interessenskonflikte und gesellschaftliche Verfügbarkeit

These 1: Das Netz hat einen Körper. Die Verdrängung dieser Tatsache durch die Cyberutopisten der 1990er Jahre – etwa in der Formulierung in John Perry Barlows Declaration of the Independence of Cyberspace (World Economic Forum, Davos, 8. Februar 1996), dass »unsere Welt […] nicht dort [ist], wo Körper leben« –, deren Denken bis heute die (kultur-)linke Diskussion über das Netz beeinflusst, trägt entscheidend zu deren Realitätsfremdheit bei. Diesen Körper zu bauen, zu unterhalten und durch ein System symbolischer Ordnungen für die Kommunikation der Gesellschaft verfügbar zu machen, erfordert sowohl Material als auch Arbeit und damit unter den gegebenen Bedingungen Geld. Das Netz gerät schon dadurch in den Bereich materieller Interessenkonflikte.

These 2: Eine Antwort auf die Frage »wem gehört das Netz« muss den unterschiedlichen Ebenen gerecht werden, in die sich dieses gliedert. Hier der Vorschlag zu unterscheiden zwischen:

1. der Ebene der physischen Infrastruktur (Hardware) und der symbolischen Ordnungen (Netzprotokolle und Software), die deren Betrieb dienen,

2. der Ebene der symbolischen Orte, deren Attraktivität in ihrer Funktion als Treffpunkt (Facebook, eBay, etc.) oder im Angebot bestimmter Dienste bzw. bestimmten Inhalts besteht (Google, YouTube, etc.),

3. und der Ebene des Inhalts, also der Texte, Bilder, Töne, etc., die auch vor und außerhalb des Netzes existierten bzw. existieren.

These 3: Die Entwicklung der letzten Jahre war dadurch gekennzeichnet, dass die Vertreter der zweiten Ebene zulasten derjenigen der ersten und der dritten einen unverhältnismäßig großen Anteil nicht nur der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern auch an den aktuellen und den – gemessen durch die Bewertungen der Kapitalmärkte – prospektiven Revenue-Flüssen aus dem Netz für sich zu beanspruchen vermochten. Die Vertreter der ersten Ebene – das sind die TK-Konzerne – und die herkömmlichen Medienkonzerne, die sich mit oft fragwürdiger Legitimation als Vertreter der dritten darstellen, versuchen, dieses Verteilungsverhältnis zu verschieben. Die politische Debatte um das Netz bzw. Themen wie dessen Freiheit bzw. Offenheit, die sich in der über die Netzneutralität verdichtet, sind in hohem Maße durch den Kampf um die Revenue-Flüsse, und das heißt letztlich die Verwertungsinteressen der jeweiligen Kapitale determiniert.

These 4: Die Bewohner der vierten Ebene – das sind die Netzteilnehmer, denen es um die Freiheit sich zu informieren und sich zu äußern geht, als deren Vertreter sich auch eine netzpolitisch engagierte Linke verstehen sollte, tun gut daran, das alte cyberutopische Spiel, die Netzwelt in weiße und schwarze Ritter einzuteilen, um sich dann einen weißen Ritter auszusuchen, hinter den man sich vorbehaltlos stellt, nicht mitzuspielen, sondern die dort agierenden Interessen nüchtern wahrzunehmen und die eigenen in Forderungen zu transformieren, die sich instrumentell zu deren Durchsetzung verhalten, anstatt sich im hoffnungslosen Verlangen nach einer Netzwelt zu verzehren, deren Idealbild auf einer naiven, technikdeterministischen Gleichsetzung – verdichtet in Formeln wie »alle Bits sind gleich« – politischer und technischer Kategorien beruht. Ein offenes Netz verlangt politische Regulation, die letztlich technisch-funktionale Normen setzen muss.

These 5: Ein offenes Netz, das als Plattform für jegliche Art digitalisierter Medien (und alle elektronischen Medien werden digital) alle (auch technische) Kommunikationen von vitaler Bedeutung sicherstellen sowie die Freiheit, zu publizieren und sich zu informieren, nicht beeinträchtigen soll, hat technisch-wirtschaftliche Voraussetzungen. Das betrifft die Routing-Architektur, die selbstverständlich, um Steuerbarkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit sowie Qualität und Effizienz des Datenverkehrs zu gewährleisten, vom klassischen Internet-Modell abweichen muss, ebenso wie den Ausbau der Infrastruktur. Wenn das Internet die Rolle als universale Plattform digitaler Kommunikation einnehmen soll, dann stellt der Breitbandzugang (auf Basis von Lichtleitern mit einer Bitrate >= 100 MBit/s) einen ebenso universalen Standard dar und nichts, was man als »Premium Service« vermarkten sollte.

Ein solcher Standard, der schon aus Gründen technischwirtschaftlicher Effizienz breitflächig auszurollen ist, würde positive Externalitäten hervorbringen, die seine Kosten (ca. 100 Milliarden Euro in Deutschland) weit übertreffen – Externalitäten von hoher demokratie- und industriepolitischer Bedeutung. Die relativ ausgeglichene Industriestruktur Deutschlands mit ihrer breitgestreuten Mischung unterschiedlicher Betriebsgrößen verdankt sich unter anderem auch der im 20. Jahrhundert frühen Verfügbarkeit elektrischer Energie in der Fläche in der Folge von Oskar von Millers Konzept des »sozialen Stroms«. Ein »soziales Breitband-Internet« könnte für das 21. Jahrhundert eine ähnliche Rolle spielen.

These 6: Die gegenwärtige Situation, die gekennzeichnet ist durch den Kampf der Netzbesitzer um Revenue-Anteile und Renditen und, dadurch bedingt, unzureichende Investitionen in die Infrastruktur, die sich auch in der Nahezu-Stagnation des Lichtleiterausbaus zeigen, bestätigt eine 150-jährige Erfahrung: Das privatwirtschaftliche Modell, in dem letztlich immer der Drang nach kurzfristiger Rendite dominiert, eignet sich nicht für den Aufbau und die Unterhaltung breitflächiger, nationaler oder gar kontinentaler Infrastrukturen mit säkularer Nutzungsdauer. Das Regulationsmodell, zu dem die EU sich in den 1990er Jahren entschloss, baute auf die Fiktion, dass ein staatlich geschaffener Markt auf einem Feld, das sich mehr als jemals zuvor zum natürlichen Monopol entwickelte, eine moderne Infrastruktur und freien Informationsfluss hervorbrächte.

Diese Fiktion konnte sich gut ein Jahrzehnt halten, weil eine durch technische Rationalisierung, Qualitätsverschlechterung, Investitionszurückhaltung und Druck auf die Löhne ermöglichte Kostensenkung auf der Basis eines bereits vorhandenen Zugangsnetzes es erlaubte, immer mehr für immer weniger Geld anzubieten. Diese Entwicklung gerät mit der technischen Obsoleszenz dieses Zugangsnetzes an die Grenze, wo der vom Autor vor 12 Jahren konstatierte »Dauerkonflikt zwischen Ordnungs- und Industriepolitik, in dessen Verlauf Ziele wie der regional ausgeglichene und dem Stand der Technik entsprechende Ausbau des Netzes sowie der diskriminierungsfreie Zugang zu ihm auf der Strecke bleiben« (Rainer Fischbach: »Liberalala oder Monopoly? – Der neue Telekommunikationsmarkt«, Blätter für deutsche und internationale Politik, März 1999, pdf), sich manifestiert.

These 7: Bei den Revenuen der Besitzer von symbolischen Orten handelt es sich um privatisierte Netzexternalitäten, d. h. um einen monetarisierten Nutzen, der eigentlich den Teilnehmern gehört. Sie sind also mit den Einkommen von Immobilienspekulanten zu vergleichen, mit dem Unterschied, dass sie sich, bedingt durch die The-winner-takes-all-Struktur der symbolischen Orte, noch ungleicher verteilen und, bedingt durch die relativ niedrigen Kosten digitaler Technik, in noch weniger angemessenem Verhältnis zum Kapitaleinsatz stehen. Neben der Tatsache, dass die Besitzer der symbolischen Orte gigantische Sammlungen von Daten aufbauen, die ebenso eigentlich den Teilnehmern oder der Öffentlichkeit gehören (Nutzerdaten, Karten, etc.), ohne irgendeiner Form demokratischer Kontrolle zu unterliegen, sollte dies ein zusätzliches Motiv sein, auch über den Aufbau symbolischer Orte und zentraler Dienste unter öffentlicher Kontrolle nachzudenken.

>>Rainer Fischbachs Vorabthesen als PDF-Dokument

Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken

Leave a Reply