Limux, das Verwaltungssoftware-System der Stadt München, muss ja oft herhalten als „Beweis“ dafür, dass man mit Freier Software sowas machen kann (eine öffentliche Verwaltung betreiben) oder eben nicht. Das einzige, was sich aber wirklich an dem Beispiel ablesen lässt: Dass sich diese Streitfrage unter den gegebenen Herrschaftsbedingungen nicht von der Technik her (dem Gebrauchswert) entscheiden läßt. Die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Freien Software ist in den Argumenten der verschiedenen Interessenvertreter*innen und den dahinter wirkenden Lobbies immer nur Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele. Es geht nicht um die Sache selbst. Dass es aber auch nicht um das öffentliche Interesse geht, bzw. dass sich dieses als das ideologische Terrain herausstellt, auf dem der Interessenkampf ausgetragen wird, zeigt sehr schön ein aktueller Übersichtsartikel bei heise.de.
Die mittlerweile nicht mehr ganz so junge große Koalition aus SPD und CSU führt viele Schwierigkeiten in der Verwaltung auf die Linux-Lösung zurück und will aussteigen, zurück auf Windows. Interessant dabei: Nicht mal der globale Unternehmensberatungs- und Outsourcing-Konzern Accenture rät in seinem von der großen Koalition in Auftrag gegebenen, bezahlten, aber bisher nicht veröffentlichten1 Gutachten zum kompletten Ausstieg aus Limux – auch wenn das von fast allen so kolportiert wird. An dieser Stelle möge man sich vergegenwärtigen, dass Microsoft und von Microsoft lizensierte Schulungsunternehmen Millionen in Werbung für ihre Systembetreuungs-Kurse stecken, die nicht nur an Online-Redaktionen, sondern gerade auch an die gleichen Fachmagazine gehen, die sich ausführlicher zum Thema melden. Aber Werbeteil und redaktioneller Teil operieren ja unter den gegebenen Bedingungen von „Konzentration und Homogenisierung“2 bekanntlich völlig unabhängig voneinander.3 Zurück zum Gutachten: Es empfiehlt vielmehr den Einstieg in eine Menüerweiterung, so lässt sich wenigstens bei heise.de lesen:
Die Referate und Eigenbetriebe sollen die Wahl haben, welches Betriebssystem und welche Bürokommunikation „für ihren Einsatzbereich die passende ist“. Jede größere Verwaltungseinheit könnte damit also selbst entscheiden, ob sie Microsoft oder Open-Source-Produkte verwenden möchte. „Abhängig von der Entwicklung der Verbreitung der Client-Varianten“ sollte den Experten nach zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden, „ob der Einsatz von Linux als Client-Betriebssystem weiterhin wirtschaftlich sinnvoll ist“.“
Grüne und Piraten kritisieren die Ausstiegspläne und verweisen z.B. auf die 60 bis 70 kommunalen Linux-Programmierer. Millionen, die in den letzten Jahren an Lizenzgebühren eingespart werden konnten, gehen in die Arbeit dieser Menschen. Die Arbeitsergebnisse wiederum stehen nicht nur der Stadt München offen, sondern nach dem Prinzip Freier Software allen interessierten Nutzer*innengruppen, z.B. in anderen Kommunen mit Linux in der Verwaltung und umgekehrt, denn auch die anderen haben ihre Linuxfachleute, die lokal Probleme lösen und ihre Problemlösungen gemäß der commons-basierten Peer-Produktionsweise auch wieder global zur Verfügung stellen.4
Linux in öffentlichen Verwaltungen ist keine technische Frage, sondern eine politische: Es geht um die Souveränität bei der kommunalen Datenverarbeitung und gegen die Verschwendung Privatisierung öffentlicher Gelder zum Zwecke der Profitmaximierung privater Lizenzinhaber-Konzerne. Mit Linux in der öffentlichen Verwaltung produzieren öffentliche Gelder öffentliche Software zum Wohle der Allgemeinheit, also „common goods“. Wer sich in der Frage Offene/Freie Software oder proprietäre Lizenzware positioniert oder gar als Entscheider*in agiert, entscheidet sich für die eine oder die andere Seite der Barrikade. Soviel sollte den aktiv an dieser Auseinandersetzung Teilnehmenden auf dem diskursiven Feld und in der Verwaltungspraxis selbst wenigstens klar sein.
- Öffentlich ist nur ein 129-seitiges Papier einer Münchener Fachabteilung, nicht jedoch das 450-seitige Gutachten selbst. [↩]
- So die Überschrift des einschlägigen Kapitels bei Thomas Schuster: Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit, Frankfurt a. M. (Fischer) 1995. [↩]
- Vgl. z.B. Noam Chomsky: Manufacturing Consent, Dokumentarfilm 1992. An dieser Stelle fehlt im Satz leider das Zeichen für Ironie/Sarkasmus. [↩]
- Theorieproduktion zur commons-basierten Peer-Produktion z.B. bei keimform.de. [↩]