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Eine Abkehr von der imperialen Automobilität – einer Mobilität, deren Möglichkeitsbedingung der Zugriff auf die Ressourcen anderer ist – beabsichtigen weder die Autokonzerne noch die Bundesregierung. Stattdessen soll das vorherrschende Verkehrssystem durch eine Änderung der Antriebstechnik (Elektro- statt Verbrennungsmotor) (Candeias 2012:10) und die Einführung des autonomen Fahrens samt Digitalisierung erneuert werden (vgl. auch „Das Auto im digitalen Kapitalismus. Dieselskandal, Elektroantrieb, autonomes Fahren und die Zukunft der Mobilität„).

Es ist auffällig: Während sich gegen destruktive Technologien wie Atom- und Kohlekraft hierzulande dynamische soziale Bewegungen entwickelten, ist die (fossilistische) Automobilität von dieser Entwicklung weitgehend verschont geblieben; die kulturelle Bedeutung des Autos ist kaum zu überschätzen, ist es doch das zentrale Symbol kapitalistischen Fortschritts geworden (Paterson 2007), das auch die Stadtplanung im 20. Jahrhundert bestimmte. Lässt sich die Dominanz der Automobilität in allen westlichen Gesellschaften ausmachen, so stellt die immense Bedeutung der Automobilindustrie (VW, Daimler, BMW), mitsamt den Zulieferbetrieben (u. a. Bosch) für das nationale Kapitalismusmodell jedoch eine deutsche Besonderheit dar.

Bezeichnenderweise haben die deutschen Hersteller im Premiumsegment eine ausnehmend starke Stellung. Es lässt sich seit Jahrzehnten eine Tendenz hin zu immer schwereren Autos mit entsprechend schlechterer Umweltbilanz feststellen. Dieses Geschäftsmodell wird innerhalb Deutschlands durch bestimmte Anreizstrukturen, wie etwa die Privilegierung von Firmenwagen oder die Pendlerpauschale, abgesichert. Zur externen Absicherung gehört, dass die Bundesregierungen immer wieder EU-Regulierungen verhindert haben, die deutsche Hersteller zu einer anderen Modellpolitik gezwungen hätten. Im Jahr 1998 unterzeichnete der Dachverband der Europäischen Automobilindustrie (ACEA) eine freiwillige Selbstverpflichtung gegenüber der Europäischen Kommission, wonach die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Neuwagen bis zum Jahr 2008 auf 140 g/km abgesenkt werden sollten. Dies sollte vor allem über die Verbreitung von Dieselfahrzeugen geschehen. Tatsächlich lagen nach offiziellen Angaben die durchschnittlichen Emissionen 2008 bei 154 g/km (Helmers 2015: 3–11).

In der darauf folgenden Verordnung 443/2009 erfolgte auf Druck der deutschen Bundesregierung eine Festlegung auf einen gewichtsbezogenen Emissionsgrenzwert:

«Damit erfährt die Modellpolitik der deutschen Autoindustrie mit Schwerpunktsetzung auf Mittelklasse, Oberklasse, auf SUV (Sports Utility Vehicles) und Sportwagen erstmals einen gesetzlichen «Artenschutz». Das wichtigste Ziel auf dem Weg zu effizienteren Autos, die Unterbrechung der kontinuierlichen Gewichtszunahme, wurde damit weitgehend vertagt» (ebd.: 11).

Diese gewichtsspezifische Grenzwertfestlegung leistete auch der massenhaften Verbreitung von SUVs Vorschub, deren Zulassungszahlen weiter ansteigen (Brand/Wissen 2017: 125–129).

Im Gegensatz zum Stromsektor hat es in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich Verkehr keinen Rückgang der Emissionen gegeben. Im Gegenteil: Im Jahr 2016 lagen die verkehrsbedingten Emissionen sogar leicht über dem Niveau von 1990. 18 Prozent der in Deutschland verursachten Emissionen gehen auf den Verkehrssektor zurück (Agora Verkehrswende 2017: 8). Trotz wachsenden Flugverkehrs und zunehmenden Güterverkehrs (vorwiegend auf der Straße) ist das Auto nach wie vor die größte Emissionsquelle.

Auch beim Dieselgate-Skandal konnte sich die deutsche Automobilindustrie auf die Bundesregierung verlassen. Die Hersteller hatten im großen Stil bei Dieselfahrzeugen Software hochgeladen, die im Testbetrieb eine Einhaltung der Obergrenzen des Schadstoffausstoßes ermöglichen, während der reale Ausstoß häufig um ein Vielfaches höher liegt. Schätzungen zufolge führten die nicht eingehaltenen Grenzwerte bei Dieselfahrzeugen allein in der EU im Jahr 2015 zu 11.400 Todesfällen. Medienberichten zufolge wussten sowohl die Bundesregierung als auch Teile der Europäischen Kommission lange vor Bekanntwerden des Skandals von den illegalen Machenschaften, ohne etwas zu unternehmen. Während die deutschen Autokonzerne, die im Zentrum des Skandals stehen, in den USA bereits zu Milliardenstrafen verurteilt wurden, werden sie in Deutschland und Europa mit Samthandschuhen angefasst (Brunnengräber/Haas 2017: 21). Beim sogenannten Dieselgipfel am 2. August 2017 waren Teile der Bundesregierung, verschiedene Landesregierungen, die Autokonzerne und Gewerkschaften vertreten. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen waren hingegen nicht eingeladen. Im Ergebnis wurden geringfügige Softwarenachrüstungen beschlossen, die die Autokonzerne rund 500 Millionen Euro kosten werden – die Schadstoffbelastung wird dadurch nur minimal verringert (DUH 2017).

Auch die durch die Selbstanzeigen von Daimler und VW bekannt gewordenen Vorwürfe wegen Kartellabsprachen werfen ein schlechtes Licht auf die deutsche Automobilindustrie, die über Jahrzehnte politisch hofiert und zur Leitindustrie des deutschen Kapitalismus aufgebaut wurde. Dabei werden massive Schäden an Mensch und Natur in Kauf genommen.

Nötig wäre, und dafür streiten zahlreiche Verbände und VertreterInnen sozialer Bewegungen, eine Verkehrswende, die den öffentlichen und schienengebundenen Verkehr stärkt, die Fahrradinfrastruktur massiv verbessert und das Verkehrsaufkommen deutlich senkt. Dabei ist zugleich der Mobilitätsarmut, etwa durch die Einführung eines beitragsfreien ÖPNV, entgegenzuwirken (Brie 2012: 5–9). In Anbetracht der anhaltenden Urbanisierung, der Energiewende im Strombereich und der voranschreitenden Digitalisierung gibt es durchaus alternative Überlegungen, wie die Verkehrssysteme umgebaut werden könnten (WWF et al. 2014; Agora Verkehrswende 2017; Greenpeace 2017; VCD 2017). Eine große Herausforderung besteht jedoch auch darin, für die und mit den Beschäftigten in der Automobilindustrie Wege eines gerechten Übergangs zu finden, das heißt einer Transformation weg von einer schmutzigen Industrie, unter der nicht allein und in erster Linie die ArbeiterInnen in den betreffenden Industrien zu leiden haben. Die Automobilität muss auf ein für die soziale Entwicklung verträgliches Maß geschrumpft werden und die reale Emissionsentwicklung im Einklang mit den Zielvereinbarungen von Paris 2015 stehen. Dies stellt im Autoland Deutschland eine Herkulesaufgabe dar (Candeias 2012).

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Analyse „Vom Mythos des «Klimaretters». Die sozial-ökologischen Schattenseiten des deutschen Kapitalismus“ (2017) → www.rosalux.de/publikation/id/37973/vom-mythos-des-klimaretters/

Dr. Tobias Haas war von 2012 bis 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für „Politik und Wirtschaft (Political Economy) und Wirtschaftsdidaktik“ an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Er ist von 2017 bis 2019 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik (FU Berlin) beschäftigt. Er promovierte mit einer Arbeit zur Politischen Ökonomie der Energiewende in Deutschland und Spanien im europäischen Kontext.

 

Literatur:

 

Noch mehr zum Themenfeld in der Monatszeitung OXI, Ausgabe 3/19 mit dem Schwerpunkt „Automobilismus“, mit drei Volltextartikeln online lesbar.

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