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Chaos macht Schule, via netzpolitik.org

Der Digitalpakt (offiziell DigitalPakt Schule) bezeichnet ein Programm der Bundesregierung zur Förderung der Digitalisierung an den Schulen. Er wurde im März 2019 beschlossen und hat inklusive Erhöhung der Förderung 2020 einen Umfang von 6,5 Millarden Euro.

Schon lange vor diesem Digitalpakt haben nicht nur Konzernlobbyisten ihre Arbeit gemacht. Auch die Praktiker_innen an der Basis der gesellschaftlichen Digitalisierung brachten ihre Vorstellungen von Schuldigitalisierung ein: Chaos macht Schule hieß die Parole des Chaos Computer Clubs schon 2017. Und von Anfang an haben zivilgesellschaftliche Akteure wie etwa das Bündnis für humane Bildung, aber auch die RLS den Digitalpakt der Bundesregierung vor diesem Hintergrund beobachtet und kritisiert. Eine der Befürchtungen, die sich durch die Analysen zieht: Hier werde ein Konjunkturprogramm zugunsten der Plattformkonzerne aufgelegt, die mit ihren Hard- und Softwareangeboten und mit konzerninteressenkonformen Lehrmaterialien jetzt auch noch die Schulen kolonisieren.

Dass es auch anders geht, zeigt der Ansatz der „Demokratische Digitalisierung (DD)“, der der Einführung von computer- und netzwerkbasierten Lern- und Lehrwerkzeugen an Schulen in Barcelona zugrunde liegt: Digitaler Schulunterricht funktioniert dort auch ohne die Programme der großen Unternehmen. Barcelona setzt mit Erfolg auf offen zugängliche Software, wie die Tageszeitung taz im April 2022 berichtet.

Erste Zwischenberichte wie etwa die RLS-Studie zur „Ökonomisierung schulischer Bildung“ von Tim Engartner (Mai 2020) kommen zu dem Ergebnis, dass Bund und Länder den Digitalkonzernen mit dem Digitalpakt Schule ausgesprochen lukrative Absatzmärkte geschaffen haben. Es wird deutlich, dass Google, Apple, Microsoft und Samsung vergleichsweise wenig Widerstände auf dem Weg in die Klassenzimmer zu überwinden hatten, während zum Beispiel der von Amazon angebotene «Kindle Storyteller Kids»-Schreibwettbewerb in einigen Bundesländern verboten wurde. Engartner kann nachweisen, dass die Digitalisierung der Schulen bislang eher von ökonomischen Interessen als von pädagogischen Konzepten geprägt ist.

Fazit: Hauptsächlich Geräte wurden angeschafft. Offensichtlich begegnet sich das Anliegen des Digitalpakts, die Bedürfnisse der Schulen und die Interessen der Konzerne dort, wo es um die Ausstattung mit Hardware und der darauf installierten Software geht. Toll, könnte man meinen: Ungleichheitsphänomene werden hier wenigstens auf der Ebene der Ausstattung abgefangen. Aber Berichte aus den USA verweisen auf einen Trugschluss: So analysiert die New York Times schon 2018: „Die digitale Kluft zwischen reichen und armen Kindern sieht anders aus als wir erwartet haben. Amerikas öffentliche Schulen fördern nach wie vor Geräte mit Bildschirmen und bieten sogar rein digitale Vorschulen an. Die Reichen hingegen verbannen Bildschirme ganz aus dem Unterricht.“ NYT, 26.10.2018. Belegt ist auch hierzulande, dass gute Qualität von Schule und Unterricht gerade nicht an die jeweils gerade fortgeschrittenste Medientechnologie gekoppelt ist (vgl. etwa den Neurobiologen Henning Beck im Interview: „Warum wir wieder mehr mit der Hand schreiben sollten“). Entscheidend sind immer qualifizierte Lehrpersönlichkeiten, ein gut strukturierter, altersgerechter Unterricht und der soziale Umgang miteinander.

Es ist anzuknüpfen an den einschlägigen RLS-Online-Artikel „Schule in Zeiten der Pandemie. Vom Homeschooling zum Re-Schooling“ von Mai 2020. Damals bilanzierte Thomas Gesterkamp: Millionen Eltern, überwiegend Mütter, wurden in der Corona-Krise über Nacht zu Heimlehrerinnen. Die Schließung der Schulen führte zu einem Boom virtueller und oft improvisierter Angebote im Homeschooling. Doch die Möglichkeiten digitalisierter Bildung seien begrenzt. Zudem verstärkten sie die soziale Spaltung: In den Wohnungen benachteiligter Familien sei meist zu wenig Platz zum Lernen, es fehlten die technische Ausstattung und das «kulturelle Kapital». Engagierte Lehrkräfte erhalten die Verbindung zu Schülerinnen und Schülern mit vielfältigen Mitteln aufrecht. Im Mittelpunkt stünden dabei nicht Prüfungstermine oder die Abarbeitung von Lehrplänen, sondern die Förderung von Lernbereitschaft und Motivation.

Von einem Standpunkt links unten aus drängen also die Fragen: Wo stehen die Schulen mit ihren Digitalisierungsbemühungen und wo steht der Digitalpakt mit seinem Förderangebot heute, 3 Jahre später? Gab es Digitalisierungspraxen vor dem Digitalpakt? Und wenn ja: Wie hat sich der Digitalpakt dort ausgewirkt? Wie wirkt sich Schuldigitalisierung auf vorhandene Ungleichheitsstrukturen aus und welche Rolle spielt der Digitalpakt dabei? Und nach wie vor geht es auch um grundsätzliche Fragen: Wer bestimmt über Lehrinhalte an öffentlichen Schulen und über eingesetzte (Medien-)Technik? Vermitteln solche Schulen weiterhin eine fundierte Allgemeinbildung als Grundlage sozialer Teilhabe in demokratischen Gemeinschaften? Oder setzen sich Wirtschaftsverbände und IT-Lobbyisten durch, die für mehr und den immer früheren Einsatz von digitalen Endgeräten in Bildungseinrichtungen eintreten? In einer Frage: Was ist linke Bildung und wie passt dazu Digitalisierung?

 

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