Probleme beim Aufspielen einer neuen Flugsicherungsoftware haben am Mittwochmorgen weite Teile des Luftverkehrs über Deutschland beeinträchtigt. In der Zentrale in Langen bei Frankfurt musste über mehrere Stunden die mögliche Verkehrsmenge um die Hälfte verringert werden, wie eine Sprecherin der bundeseigenen Deutschen Flugsicherung (DFS) berichtete“, so die Wochenzeitung Die Zeit im Sommer 2022.
Gewitterstürme und Blitzeis haben am Mittwochmorgen weite Teile des Luftverkehrs über Deutschland beeinträchtigt. In der Zentrale in Langen bei Frankfurt musste über mehrere Stunden die mögliche Verkehrsmenge um die Hälfte verringert werden, wie ein Sprecherin uswusf.
Softwarefehler. Kann man wohl nichts machen – wie bei schlechtem Wetter: So fühlen sich derartige Meldungen an, die am konkreten Beispiel berichten über allgemein gesprochen: die Infrastrukturbasis, deren digitalen Überbau und dabei im kapitalistischen Normalbetrieb auftretende Probleme. Aber: Nichts ist menschlicher, menschengemachter als das, was uns auf allen Feldern als „Digitalisierung“ begegnet. Und dennoch gelingt die Naturalisierung der negativen Folgen kapitalistischer Digitalisierung. Warum betone ich das kapitalistisch hier so sehr? Weil es die kapitalistitsche Zurichtung ist, die dazu führt, dass „man nix machen kann“: Kommerzielle IT-Systeme sind zuerst dem Zwecke der Profitmaximierung unterworfen. Ihr Gebrauchswert („Anwendungszweck“) ist nur Mittel der Konkurrenz zwischen privatwirtschaftlichen Akteuren.
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Abgeschlossene Quellen
Die Öffentlichkeit ist Kunde, nicht etwa mündiger Nutzer digitalisierter Infrastrukturen. Um Kunden dumm und bei der Stange zu halten, schließen die Hersteller ihre Software nach der Entwicklung, vor der Auslieferung, ab, closed source. Niemandem außer den Softwareingenieuren der Herstellerfirma liegt das Programm in menschenlesbarer Form vor. Nur diese können Funktionen erweitern oder Fehler ausbessern. Lohnt sich letzteres für die Firma nicht, dann passiert es auch nicht.
Im Produktionsprozess, innerhalb der Softwarefirmen, sind Open Source-Instrumente weitverbreitet, weil sich mit ihnen Software am besten entwickeln lässt: Server, Entwicklungsumgebungen, Versionsverwaltungssysteme, Projektmanagement-Oberflächen. Die Software wird erst dem Kunden gegenüber abgeschlossen, damit dieser nur auf die vom Hersteller vorgesehene Art und Weise mit der Software arbeiten kann. Für jede Änderung und Aktualisierung muss sich der Kunde an die Firma oder von ihr lizensierte Dienstleister wenden (und zahlen). Offene Standards und Schnittstellen sind in dieser Logik geradezu ausgeschlossen, denn sie würden ja den Wechsel zu einem anderen Hersteller ermöglichen. So kann „man“ bei solchen Problemen tatsächlich „nix“ machen. Aber das muss nicht so sein.
Offene Quellen
Open Source-Projekte sind oft von offenen Standards uns Schnittstellen her gedacht und designed: Das eine macht dort weiter, wo das andere aufhört, aber eine offene Schnittstelle dokumentiert. Hinzu kommt: Liegt die Software in ihren Quellen offen („Open Source“), ist ihre Funktionsweise also für Anwender_innen durchschaubar, dann können mündige Nutzer_innen entstehen. Die können sich immernoch entscheiden, einer Firma gegen Geld die Arbeit an Aktualisierungen und Leistungsanpassungen zu übertragen. Aber sie sind dieser Firma nicht mehr auf Gedeih und Verderb und entlang des Profitabilitätskalküls von deren Managementsparte ausgeliefert.
Liegt der Code offen, ist er in menschenlesbarer Form veröffentlicht, dann kann jede Software-Ingenieurin sich einarbeiten und die Arbeit sowie das Geschäft übernehmen. Im Extremfall kann es sogar die mündige Nutzerin selbst. Softwarefehler werden zu durchschaubaren Softwareproblemen und damit lösbar. Ob sie gelöst werden, entscheidet sich in der (gesellschaftlichen, mithin möglicherweise sogar demokratischen) Debatte über den Ressourceneinsatz: Bei welchen Softwareproblemen setzen wir wie viel der für uns verfügbaren Menge an Programmierarbeit, sprich: Arbeitszeit, ein?
Digitalisierung und ihr analoger Kern
Dass der Softwarefehler nur die halbe Wahrheit ist (und das „kann man nix machen“ eine komplette Lüge), ahnt auch die Berichterstattung wie im Falle der oben angerissenen Updatefehler in der Flugsicherung. Aus dem gleichen Artikel:
An den Flughäfen kommen zudem seit Wochen Abfertigungsprobleme hinzu, weil Personal bei den Bodenverkehrsdiensten, an den Check-in-Schaltern und teils auch bei den Passagierkontrollen fehlt. Die Branche sucht gemeinsam mit der Bundesregierung nach Lösungsvorschlägen. So sollen kurzfristig Hilfskräfte aus dem Ausland eingesetzt werden.
Sieh an: Eigentlich geht es um Konflikte und Aushandlungsprozesse zwischen Kapital und Arbeit. Softwarefehler stellen lediglich (noch) das Neue dar, weswegen wie hier im Beispiel die Meldung von den Flugausfällen überhaupt zu einer berichtenswerten Nachricht wird. Kaputtgewirtschaftete Infrastrukturen sind ansonsten kaum eine Notiz wert, denn die Privatisierung von Infrastrukturen ist – ob mit oder ohne Digitalisierung – ein so übliches wie beliebtes Geschäftsmodell.
Digitalisierung im Privatisierungszyklus
Infrastrukturen werden staatlich finanziert oder staatlich gefördert aufgebaut. Dann werden sie zum Betrieb privatisiert, denn Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft. Die Geschäftsbelebung in Form von privaten Profiten geht einher mit Wartung unter der Bedingung von Personalkostenreduktion und bei minimierten privaten Investitionen. Nicht nur die Infrastruktur an sich, auch die dafür weiterhin öffentlich aufgewandten Subventionen und die damit – im Falle von Digitalisierung meist – erzielten Rationalisierungsgewinne werden privatisiert.
Die profitorientierte Bewirtschaftung der (analogen) Substanz der Infrastrukturen führt zwangsläufig dazu, dass Anlagen und in der Infrastrukturbereitsstellung verbliebenes Personal „kaputt geritten“ werden. Das gilt auch für Betriebe, die zwar im öffentlichen Eigentum verbleiben, in ihrer inneren Betriebsweise allerdings so umstrukturiert werden, dass sie entlang aus der Privatwirtschaft entlehnter Logiken und Mechanismen funktionieren (das gilt etwa für die Deutsche Bahn). Sogar Verluste an Menschenleben werden dabei billigend in Kauf genommen (vgl. semi-dokumentarisch The Navigators, Ken Loach 2001). Private Fehlinvestitionen, Firmen- und ganze Branchenzusammenbrüche („Disruption“) muss die Allgemeinheit auffangen („Rettungspaket“). Auch für die Bereitstellung von Billiglohnsklaven („Hilfskräfte aus dem Ausland“) wird der Staat angerufen – und nicht etwa für eine Regulierung hinsichtlich guter Arbeitsbedingungen und vernünftiger Tarife.
Am Ende des Privatisierungs- bzw. Verbetriebswirtschaftlichungszyklus‘ ist die Infrastruktur kaputtgewirtschaftet. Die Allgemeinheit muss sie dann erst wieder einmal zurückkaufen. Dann erst kann und muss sie die Privatisierungsfolgeschäden aus dem allgemeinen Steueraufkommen auffangen, um ein Mindestniveau an Gebrauchswert der Infrastruktur wieder herzustellen. Zum allgemeinen Steueraufkommen tragen die Reichen und Schönen, die zuvor die Privatisierungsprofite eingefahren haben, nur bedingt bei. Und wenn mal wieder gar nichts geht, wenn gar nichts mehr zu retten ist, wenn mal wieder alles zusammenbricht, dann kanns ja nichts anderes gewesen sein als ein Softwarefehler, kann man nix machen. Der Verweis auf die Digitalisierung und ihre Schwierigkeiten bildet einen neuen ideologischen Baustein in neoliberalen Privatisierungspraxen, die der Umverteilung von Öffentlich nach Privat und von Unten nach Oben dienen.
Fragende Zugänge entlang gesellschaftlicher Kampflinien
Digitalisierung muss kein unvermeidliches Wetterphänomen bleiben. Vielmehr sollte es um die damit verbundenen gesellschaftlich umkämpften Fragen gehen – egal ob unter dem eher dystopisch zuspitzenden Schlagwort der Infrastrukturapokalypse, dem analytisch langweiligeren Begriff der Digitalisierungsfolgen oder dem vorwärtsweisenden strategischen Begriff des Infrastruktursozialismus: Wer verfügt über die Infrastrukturen? Facebook, Google, Apple und Co., bzw. ihre Startup-förmigen Ableger? Die, die uns gnadenlos zur Kasse bitten, geldförmig und/oder in Form unserer Nutzungsdaten, aus denen sie Profile errechnen, Trends ablesen und ihre Erkenntnisse weiterverkaufen? Wo laufen überhaupt Digialisierungsprozesse im Bereich öffentlicher Infrastrukturen? Und wie laufen diese Digitalisierungsprozesse im Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge ab und beeinflussen und verändern letztere? Wo dominieren Startups und Konzerne als Treiber dieser Prozesse und zielen dabei auf die Kolonisierung der Infrastrukturen und deren Aneignung bzw. die Inwertsetzung der anfallenden Daten für ihre Profitzwecke?
Aber auch: Wo gibt es Beispiele vorbildlicher Praxis, wo Digitalisierungsprojekte transparent und von unten vorangetrieben werden? Wo bestimmen bürgerrechtliche Mindeststandards wie Datensparsamkeit und -souveränität das Design digitaler und digitalisierter Infrastrukturangebote? Wie erzwingen wir die Reinvestition von Rationalisierungsgewinnen zugunsten der Qualität eines Infrastukturangebots und der Arbeitsbedingungen der Infrastrukturbeschäftigten? Und zum Schluß drei Schritte zurück: Ist das Recht auf „Digitale Abstinenz“ gewährleistet? Niemand darf gezwungen sein, digital zu kommunizieren. Wer kein Smartphone/Internet will, dem müssen Behörden, Daseinsvorsorge- und Kultureinrichtungen weiterhin analog Zugang bieten. Gibt es wenigstens dort, wo Infrastrukturen öffentlich finanziert, aber auch nur teil- oder anschubfinanziert sind, noch garantierte analoge Zugangsmöglichkeiten oder Zugänge auf der Basis unmittelbaren Personenkontakts zwischen Nutzer_innen und Anbieter_innen?
Das alles vor dem Hintergrund und eingebettet in den allgemeineren Fragenkomplex zum Thema Infrastruktusozialismus, den Alex Demirovic aufwirft:
Wenn wir heute vom Sozialismus sprechen, ist doch eine wichtige Frage: Wie überzeugen wir eigentlich die Vielen, in diesen Prozess einzutreten, damit daraus ein neuer Alltag entstehen kann? Es geht um eine neue Gesellschaftlichkeit, um neue Gewohnheiten. Erfahrungswerte müssen sich ausbilden, das ist langwierig. Wir sind ja überzeugt, dass die gegenwärtigen Verhältnisse die Probleme nicht bewältigen. Deswegen stellt sich die Frage, wie wir die Leute überzeugen, an einem jahrzehntelangen Prozess teilzunehmen, dessen Ende wir alle nicht absehen können, von dem wir nur wissen, dass er auf eine neue Zivilisation hinausläuft? Es geht auch darum, andere zu gewinnen, dass sie in den notwendigen Bereichen arbeiten und bereit sind, die Herausforderungen und Konflikte zu ertragen und zu ihrer Überwindung beizutragen. Das führt zu der Frage, ob die gegenwärtigen Infrastrukturen dann die richtigen sind. Stellen sie das zur Verfügung, was wir brauchen? Wie müssen sie verändert werden? Wer entscheidet das? Das sind in sich konfliktreiche Dinge – wie können sie gelöst werden? Mit Infrastrukturen wie dem ÖPNV, öffentlichen Kliniken sowie Sport- und Bildungseinrichtungen wird vieles ermöglicht. Aber es sind auch neue Verhältnisse und Lebensweisen notwendig, die eine Aneignung solcher Infrastrukturen und ihre gemeinsame Gestaltung ermöglichen. Das schließt Diskussionen darüber ein, was wir in welchem Umfang, an welchen Orten benötigen, wer die konkrete Arbeit leistet.