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Im Dietz-Verlag, bekannt durch die Herausgabe der sogenannten blauen Bände, der gesammelten Werke von Marx und Engels, ist ein Sammelband erschienen mit dem Titel „Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit“. Die Einleitung der HerausgeberInnen Florian Butollo und Sabine Nuss führt gut in den 350seitigen Band ein, der im Grunde ein Theorieprojekt auflegt: Sie liefert einen Debattenüberblick und skizziert eine Deutung des aktuellen Technologieschubs entlang des Marxschen Begriffs der Produktivkraftentwicklung. Außerdem liefert sie einen Überblick über die Beiträge des Bandes, die Bausteine für eine umfassendere begriffliche Erfassung des Gegenstandes darstellen sollen und auf theoretische Verallgemeinerbarkeit zielen:

Den Band eröffnet Judy Wajcman mit einer Sammelbesprechung mehrerer aktueller Bücher, die sich mit den Auswirkungen von Automatisierung und Robotik auf die Zukunft von Arbeitsplätzen befassen. Die meisten Texte in diesem Genre prognostizieren, dass die gegenwärtige Phase der digitalen Technologie in bisher ungekannter Weise zu einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen führen werde und sich daher die heutige Welle der Automatisierung von früheren Wellen unterscheide. Die Besprechung betrachtet diese Behauptungen kritisch und relativiert einige der Übertreibungen hinsichtlich Automatisierung, Robotik und Künstlicher Intelligenz und fordert dazu auf, die sozialen Dimensionen der technologischen Entwicklung wieder in den Blick zu nehmen.

Im ersten Abschnitt finden sich Beiträge, die das Phänomen der Automatisierung begrifflich und historisch reflektieren. Elena Lange ordnet Rationalisierung und damit Digitalisierung in die marxsche Theorie der relativen Mehrwertproduktion ein. Dorothea Schmidt widmet sich dem Untersuchungsgegenstand, den Marx in seiner Zeit vor Augen hatte und auf den er sich bezog: die industrielle Revolution und Mechanisierung im 19. Jahrhundert. In ihrem Faktencheck kommt sie zu dem Schluss, dass Marx sich zum Teil auf einseitige Quellen stützte, was sich insbesondere in einer Überschätzung der Auswirkungen von Automatisierung äußert. Karsten Uhl schreibt über die Automatisierungsvisionen im 20. Jahrhundert und zeigt, dass die Angst vor technologischer Massenarbeitslosigkeit durch eine »menschenleere Fabrik« nicht erst ein Phänomen der heutigen Zeit ist. Frigga Haug nimmt die Leserinnen mit auf eine Zeitreise und berichtet von dem von ihr ab 1972 geleiteten Forschungsprojekt »Automation und Qualifikation« (PAQ). Das Projekt hatte sich das Ziel gesetzt, in den schnellen technologischen Umbrüchen seiner Zeit eine offensive gewerkschaftliche Politik vom Standpunkt der Arbeitenden herauszuarbeiten. Sie formuliert vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen Fragen, die untersuchungsleitend für aktuelle Forschungen sein könnten. Christian Meyer wirft einen Blick in vergangene materialistische Technologiedebatten und postuliert, dass es in der zeitgenössischen Sozialwissenschaft an Anschlüssen an vergangene Diskussionen und auch an einer Rezeption der marxsehen Analyse fehle.

Mit Kim Moody führt der Band in die Analysen der gegenwärtigen Entwicklungen ein. Die Autorinnen und Autoren widmen sich im zweiten und dritten Abschnitt dem Einsatz der Roboter an den »verborgenen Stätten der Produktion« (Marx), sowie den Auswirkungen der Digitalisierung und Computerisierung auf die zeitgenössischen Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Moody untersucht, wie und warum Roboter allen futuristischen Hypes zum Trotz überraschend langsam eingeführt wurden. Ironischerweise habe der zunehmende Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) eher zu einem Anstieg der Beschäftigung geführt. Moody führt aus, dass sowohl die Dynamik der Kapitalakkumulation wie die Turbulenzen des Kapitalismus in den USA und auf globaler Ebene zu einem Rückgang der Investitionen in arbeitssparende Technologien geführt haben – ein Hindernis für den prognostizierten Ersatz lebendiger Arbeit. Sabine Pfeiffer analysiert am Einsatz von Leichtbaurobotern, wie die digitale Transformation ihre Wirkkraft entfaltet, beziehungsweise wie und warum sie das in diesem Falle gerade nicht tut. Auch die Landwirtschaft ist Anwendungsfeld für Roboter und Digitalisierung. Wie dies geschieht und welche Auswirkungen es für die Arbeitsverhältnisse und für die politische Ökonomie der Nahrungsmittelproduktion hat, beschreiben Franza Drechsel und Kristina Dietz.

Technisch bedingte Rationalisierung findet nicht nur innerhalb eines einzelnen Betriebs statt, sondern auch zwischen Betrieben, an den Orten der Lagerung und auf den Wegen des Transports. Ziel einer digital unterstützten Optimierung ist hier eine effizientere Verzahnung von funktional und räumlich separierten Produktionsprozessen. Welche Formen dies annimmt und was dies für die geografische Verteilung von Produktionsstandorten bedeutet, führt Florian Butollo in seinem Artikel über die Reorganisation globaler Wertschöpfungsketten aus. Nadine Müller thematisiert, wie mit der Computerisierung die produktivitätssteigernde Wirkung der industriellen Kooperation und Arbeitsteilung, insbesondere der hierarchischen Trennung von Kopf- und Handarbeit, von Leitung und Ausführung verloren geht und damit – bislang ungenutzte – Potenziale einer Demokratisierung entstehen. Phoebe Moore untersucht den Einsatz neuer Sensorik- und Tracking-Technologien am Arbeitsplatz, wie sie mit neuen Managementkonzepten wie agiles Arbeiten zusammenspielen und wie sich dies auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auswirkt.

Im letzten Teil des Bandes werden Deutungsangebote entlang des Schlagworts »Plattform-Kapitalismus« vorgestellt. Christine Gerber stellt Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Arbeitsprozessen auf Crowdwork-Plattformen vor, bei denen die Tätigkeiten von selbstständig Arbeitenden über ein Internetportal vermittelt, ausgeführt und bezahlt werden. Plattformen fehlen die klassischen betrieblichen Strukturen; stattdessen stehen sie einer anonymen, flexiblen und global verteilten Arbeiterschaft gegenüber. Handelt es sich bei diesen Arbeitsformen um etwas ganz Neues oder handelt es sich um »Alte Herrschaft in digitalen Gewändern«? Felix Gnisa zeigt anhand der Beispiele der Plattform Uber, die Autofahrten vermittelt, und Amazon Mechanical Turk, einer Plattform für unterschiedlichste Kleinstjobs am PC, wie sich die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital verglichen mit der klassischen Fabrik des industriellen Zeitalters verändert und welche andere Qualität hier bestimmend ist. Dieses analytische Konzept könnte, so der Autor, dazu dienen, die Möglichkeit einer Transformation von Technologie für eine demokratische Arbeitsorganisation auszuloten. Sebastian Sevignani widmet sich der Figur der »Prosumenten«, die Internetdienste wie Facebook oder Google nutzen (konsumieren) und dabei zugleich Daten hinterlassen (produzieren), die dann von den digitalen Firmen als Rohstoff ihrer profitorientierten Produktion genutzt werden. Insbesondere geht es um die vermehrt diskutierte Frage, ob diese Tätigkeiten Wert und Mehrwert produzieren und damit eine neue Form kapitalistischer Ausbeutung darstellen können. Timo Daum geht dem aktuellen Hype um Künstliche Intelligenz nach und konstatiert, dass wir uns derzeit in einer Phase der KI-Entwicklung befinden, in der ihre Anwendungstechnologien von Digitalkonzernen massenmarktfähig gemacht und zur Alltagstechnologie werden. Damit gelinge es auch, eine neue gesellschaftliche Betriebsweise zu konsolidieren, in der die Extraktion, Auswertung und Verwertung von Daten ins Zentrum der ökonomischen Aktivität gerate.

Im letzten Beitrag wenden sich Simon Schaupp und Georg Jochum der Frage zu, welches Potenzial die gegenwärtige technologische Entwicklung für eine grundsätzliche Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise bietet. Mit dem Begriff der »Steuerungswende« diskutieren sie die Möglichkeit einer nachhaltigen und demokratischen Wirtschaftsplanung im digitalen Zeitalter.

Die Grundstimmung des Bandes wirkt rationalisierend und entdramatisierend im Zusammenhang der Gesamtdebatte. Leider mildert das nicht nur technik-pessimistische Schwarzmalereien a la „wir werden alle unsere Jobs verlieren an die Roboter“ ab. Gleich die Einleitung argumentiert auch gegen technik-optimistische Ansätze, wie sie immer wieder in technik-affinen Debattenbeiträgen der Bezugnahme auf die Marxschen „Grundrisse“, einem Rohentwurf mit Vorarbeiten für das spätere „Kapital“, entspringen:

Mitunter verweisen an Marx orientierte kapitalismuskritische Analysen auf das berühmte Maschinenfragment, ein von Marx selbst so nicht genannter Textabschnitt aus den »Grundrissen«. Marx habe dort schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Vollautomatisierung beschrieben und hellsichtig vorhergesagt – als Möglichkeit zur Überwindung des Kapitalismus. In diesen Manuskripten aus den Jahren der ersten Weltwirtschaftskrise 1857/58 versuchte Marx, seine jahrelangen ökonomischen Studien angesichts einer vermeintlich bevorstehenden Revolution zügig zusammenzufassen. In seiner Auseinandersetzung mit der Entwicklung der großen Industrie und den Auswirkungen von Maschinerie stellt er fest, dass die »unmittelbare Arbeit« des Menschen immer mehr aufhöre, Quelle des Reichtums zu sein, sodass auch die Arbeitszeit aufhören müsse, das Maß des Reichtums zu sein, und damit auch der Tauschwert aufhöre, das Maß des Gebrauchswerts zu sein: »[D]amit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen […]«. Ob dies aber der marxschen Weisheit letzter Schluss war, ist hoch umstritten. In den späteren analytischen Schriften finden sich solche apodiktischen Folgerungen nicht mehr.

Es folgt der Verweis auf Michael Heinrich: The Fragment on Machines. A Marxian Misconception in the »Grundrisse« and its Ovcrcoming in »Capital«, in: Riccardo Bellofiore/Guido Starosta/Peter D. Thomas (Hrsg.): In Marx’s laboratory: Critical lnterpretations of the Grundrisse, Leiden 2013, S. 197-212.
Wer einen Heinrich ausspielt, muss jedoch damit rechnen, mit einem Dath gekontert zu werden: „Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können.“ (Dath: Maschinenwinter, Seite 130) Es gilt, die „Welt zu hacken“, vor deren fundamentalen Mechanismen nicht zurückzuschrecken, etwa dem vom sozial-ökologischen Standpunkt aus sowieso nur mehr schlecht als recht funktionierenden Steuerungswesen über Markt und Geld. Und in diese Richtung argumentiert dann auch – ganz im aufhebenden Widerspruch zur Einleitung – der abschließende Artikel über die „Steuerungswende“ von Schaupp und Jochum,

denn es „könnte die Güterproduktion direkt durch einen digitalen Abgleich menschlicher Bedürfnisse mit den verfügbaren Ressourcen gesteuert werden. Damit ließe sich einerseits die Ökologieblindheit der kapitalistischen Marktsteuerung beheben und andererseits eröffneten sich neue Horizonte einer Wirtschaftsdemokratie.“ (S. 238)

Und das allerschönste: Dieser utopische Schlußtext im besten Sinne, nämlich analytisch klar und politisch bewußt, ist online lesbar und sei zum Einstieg von hinten hier dringend empfohlen: Jochum/Schaupp, Die Steuerungswende (PDF).

 

Butollo, Florian / Nuss, Sabine (Hrsg.):
Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit

352 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-320-02362-1
Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2019

 

 

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