Letzten Donnerstag fand das IfG-Kolloquium statt zum Thema „Politische Ökonomie von ChatGPT“. Ich möchte hier kein Protokoll veröffentlichen, sondern nur einige der Materialien, die angesprochen und im Chat verteilt wurden, mehr oder weniger kommentiert zusammenstellen.
Zu Gast mit 7 Thesen (als 10 Thesen ausgearbeitet für rosalux.de) war Timo Daum, der ja schon länger am Thema arbeitet:
- seine Monographie zum Thema: „Die Künstliche Intelligenz des Kapitals“ (2019)
- lesenswerter Mehrteiler über das „digitale China“ (2022).
- Artikel im Sammelband „Marx und die Roboter“ (2019), wo er schon seine polit-ökonomische Orientierung anlegt: Er geht dem aktuellen Hype um Künstliche Intelligenz nach und konstatiert, dass wir uns derzeit in einer Phase der KI-Entwicklung befinden, in der ihre Anwendungstechnologien von Digitalkonzernen massenmarktfähig gemacht und zur Alltagstechnologie werden. Damit gelinge es auch, eine neue gesellschaftliche Betriebsweise zu konsolidieren, in der die Extraktion, Auswertung und Verwertung von Daten ins Zentrum der ökonomischen Aktivität gerate.
Nina Galla kommentierte und hatte als Referentin der Linksfraktion im Bundestag ergänzenderweise Regulierungsansätze im Blick – siehe „Jetzt müssen die Weichen gestellt werden. Eine Replik zu Timo Daums zehn Thesen zur politischen Ökonomie von ChatGPT“. Außerdem hat sie mit anderen zusammen zum Thema beigesteuert:
Außerdem kommentierte Markus Euskirchen, dem es in seinem Kommentar vor allem um den Fehler by Design ging, der den Ergebnissen der Chat-Maschinen eben nicht auszutreiben sei und weiterhin menschliche Arbeit, und zwar gut qualifizierte und bezahlte, notwendig mache:
- Große Sprachmodelle: Zufall statt Begriff (2023)
- Open-Source-Maschinen nach dem Muster von ChatGPT laufen auch auf dem eigenen Rechner unter eigener Kontrolle, wie er in einem Installationsbericht auf dem Blog zeigt.
Moderiert hat das Kolloquium Adriana Yee.Meyberg, die mit der Redaktion von L!NX, der digitalen Bildungsplattform der RLS, das Thema KI schon mehrfach gefeatured hat.
In der Diskussion und im Chat kamen einige interessante Verweise:
- Ob das Thema Open Source von links jetzt durch sei, wo die großen Konzerne, gar das Kapital an und für sich Open Source kolonisiert hätten, wie ChatGPT zeige? Zur differenzierten Erörterung dieser Frage dient der open-source-kritische Ansatz von Marco Berlinguer in seiner Studie „Commons, Märkte und öffentliche Politik“, vor allem der Abschnitt „Lehren aus den neuen Commons“.
- Diese Diskussion war meiner Wahrnehmung nach einer Verwirrung beim Thema github/git geschuldet. github, eine Plattform zur Nutzung des Programmes git in der „Cloud“ der Firma github, konnte von Microsoft aufgekauft und für seine KI-Strategie instrumentalisiert werden. git, die zugrunde liegende Open Source-Software, steht unter der GPL und ist un-privatisierbar. Die Software kann nach wie vor jeder selbst hosten, sie ist federierbar (auch in einer dezentralen Server-Ökologie ist die Kooperation per git möglich, es braucht keine Plattformen wie guthub. sie sind vielleicht angenehm, aber nicht notwendig) und es gibt alternative git-basierte Plattformen zu github. Größere Absetzbewegung fanden etwa statt in Richtung gitlab. Puristen organisieren sich in Vereinen wie dem Berliner Codeberg, um ihre Softwareentwicklung zu hosten.
- Open-Source-Software-Maschinen sind und bleiben vergesellschaftete Produktionsmittel. Der Zweck, zu dem sie als solche genutzt werden, kann unterschiedlich sein (eine bestimmte Creative Commons-Lizenz verbietet ausdrücklich die kommerzielle Nutzung, auch das gibt es). Im Kapitalismus dominiert der Profitzweck. Auch in der Anwendung von Open Source. Und Open Source führt auch nicht automatisch in den Kommunismus. Darauf hat schon Sabine Nuss spätestens 2006 hingewiesen. Kämpfe führen in Richtung befreite Gesellschaft. Open Source-Kram steht in diesen Kämpfen straffrei und anpassungsfähig als Werkzeug zur Verfügung. Nicht mehr, nicht weniger ist die Bedeutung von Open Source aus linker Perspektive. Und daran hat sich nichts geändert, auch im Zusammenhang mit der Vorgehensweise der KI-Konzerne nicht. Um Open Source KI macht sich LAION, eine NGO mit Sitz in Hamburg, verdient.
- Losgelöst vom Thema KI, eher in Zusammenhang mit der Debatte um Open Source, kam die Frage nach dem rechtlichen Status. Dazu der Hinweis auf die Vielfalt der Open-Source-Lizenzmodelle – daher auch die Rede vom Open-Source-Kosmos. Um diese Diversität zu verstehen, lohnt sich wie so oft der historische Blick auf das Phänomen, auch im historischen Teil der Studie über Linux in München. Für Unternehmen gibt es Werkzeuge, die es leichter machen Open-Source-Software in eigene Projekte einzubinden, ohne Lizenzverstöße zu riskieren: z.B. SPDX. Denn die Open-Source-Lizenzen lassen funktionieren in der Praxis und werden seit Jahren juristisch durchgesetzt. Das lässt sich sehr schön am Beispiel der sehr weit verbreiteten GPL zeigen: gpl-violations.org, eine Lobby-Gruppe organisiert sich rund um Verstöße und daraus resultierende Rechtsstreits, wie prominentere und für die Herausbildung des Rechtsgebietes relevante Fälle die Wikipedia für die BRD oder die USA auflisten. Rechtswissenschaftler beackern das Feld seit Jahren, vgl. als Einstieg „Enforcement of the GNU GPL in Germany and Europe“ (2010).
- Im Zusammenhang mit KI-Regulierung wies Nina Galla auf einen fast tagesaktuellen Antrag der Linksfraktion im BT hin: „Künstliche Intelligenz nachhaltig und sozial gerecht regulieren“ (22.6.23)
- Auch die Zivilgesellschaft hat das Thema auf dem Schirm, KI und Demokratie: Fünf Erkenntnisse vom Digital Democracy Summit
- Und schließlich, zurück zur KI in der Bildungsarbeit, kümmert sich eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag um die „Auswirkungen von ChatGPT und vergleichbaren Systemen auf Bildungsprozesse in Schule, Hochschule und Aus- und Weiterbildung“.