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Das Weizenbaum Panel zur politischen Partizipation in Deutschland ist eine Längsschnittstudie, die im jährlichen Rhythmus vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft in Kooperation mit dem Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin durchgeführt wird. Im Zentrum steht das politische Engagement der Bürger:innen in Deutschland mit einem besonderen Fokus auf die Nutzung digitaler Medien und Veränderungen der politischen Teilhabe im Kontext der Digitalisierung. Phänomene wie Hassrede und Falschnachrichten, mit denen Personen im Internet konfrontiert werden, sind dabei ebenso Teil der Befragung wie der aktive Einsatz für eine demokratische Debattenkultur.

Quelle: Weizenbaum-Panel Methodenbericht 2022, S.2

Neulich hatte das Weizenbaum-Institut eine Stelle zur Mitarbeit an ihrem Panel ausgeschrieben.

Was interessiert mich am Weizenbaum-Panel?

Ich gehe aus vom Methodenbericht (2022). Der fasst im oben komplett zitierten ersten Absatz das Vorhaben des Panels zusammen, das durchaus beeindrucken kann: So erfolgt der Großteil der Befragungen nicht etwa durch externe Dienstleister, sondern aus dem FU-eigenen Telefonstudio auf dem Campus in Lankwitz. Ergebnisse in Zusammenschau der ersten Wellen der Befragung (2019-2022) lassen sich mit Hilfe des selbstentwickelten, Jupyter-basierten Data Explorers auf der Homepage des Panels darstellen. Das Vorhaben hat m.E. jedoch einen blinden Fleck im Umfrage-Design: Die Produktion der digitalen Commons (bemerkenswerterweise obwohl diese im Weizenbaum-Institut umfassend zum Einsatz kommen). Darauf möchte ich hier näher eingehen.

Die Relevanz digitaler Commons für ein Vorhaben wie das Weizenbaum-Panel kann ich in sehr allgemeiner Form umreißen: Die fortschrittlichsten Produktivkräfte der gegenwärtigen Produktionsweise sind digital. Außerdem sind sie kooperativ verfasst, vergesellschaftet gar: Free and Open Source Software (FOSS) – wenn auch tendenziell monopolistisch eingehegt und immer noch patriarchale Differenz reproduzierend. Hierin sehe ich den produktiven Widerspruch dessen, was gemeinhin ‚Digitalisierung‘ genannt wird. Was machen derart digitalisierte Produktionsmittel (commons-förmige Daten und Inhalte und FOSS = digitale Commons) im allgemeinen und Medien im speziellen mit den Subjekten, arbeitenden, konsumierenden, in soziale Auseinandersetzungen verwickelten? Wie verändern erstere sich, wie verändern sich das Handeln und die Beziehungen letzterer unter diesen Bedingungen und worin bestehen die Wechselwirkungen?

Diese allgemeinen Vorüberlegungen lassen sich herunterbrechen auf Überlegungen, die zur Weiterentwicklung des Panel-Fragenbogens (2022) dienen könnten (alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Version des Panel-Fragebogens). Zwei interessante erste Ansatzpunkte möchte ich hier ausführen:

1. Welche Rolle spielt FOSS in der Mediennutzung im Internet? Beispiel: Ich selbst nutze ausgiebig Foren, betreibe sogar eines gemeinsam mit anderen. Ich würde aber die Frage zur „Nutzung sozialer Medien“ im Panel (S. 12) mit NEIN beantworten, denn da geht es um „Diskussionsplattformen“ (Reddit wird explizit als Bsp. genannt), für deren kostenlose Bereitstellung die Teilnehmer_innen mit ihren Profil- und Metadaten, sowie Inhalten bezahlen (gerade aktuell hat Reddit „seinen“ user content verkauft – zum Zwecke von AI-Training für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag verkauft (Warum eigentlich so billig?? Naja, ist immerhin jährlich…). Grundsätzlich anders läuft das in community driven oder in self hosted micro forums. Die Betrachtung nicht-konzern- bzw. nicht-finanzmarkt-getriebener Communities mit ihren Services würde ich im Panel dort diskutieren und einbringen, wo es um die Nutzung und Nutzungshäufigkeit sozialer Medien (S. 12f) geht. Denn sie stellen die eigentlich sozialen Medien dar.

Nebenbei, die Stellenausschreibung  merkt an: „Leitwerte des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Instituts sind Selbstbestimmung und Nachhaltigkeit in der digitalen Gesellschaft.“ Den „Leitwert Selbstbestimmung“ sehe ich in selbstorganisierten Communities zu allererst verkörpert, deren selbstgesetzter Zweck in der Kollaboration zur gebrauchswertorientierten Produktion digitaler Produktionsmittel besteht.

2. Unter „Bürgernormen“ untersucht der Fragebogen auf S. 20, in wieweit die Menschen aus dem befragten Bevölkerungsausschnitt es für geboten halten „Sich aus politischen Gründen für Produkte zu entscheiden“ (hier ist die Konsumptionssphäre im Blick). Analog dazu ließe sich erheben, für wie geboten es die Leute halten, „Sich aus politischen Gründen an der Produktion von Gemeingütern zu beteiligen“ (mit dieser Frage kämen politisch motivierte Praxen innerhalb der Produktionssphäre in den Blick). Daran anschließend unter „Partizipation“: Analog zum „Politischen Konsum“ (S. 27) und dessen Häufigkeit (S. 46) ließe sich die „Mitwirkung an politischer Produktion“ (Gemeingüterproduktion, ggf. aufgeteilt in analog und digital) erfragen. Folgend drängt sich mir auf, analog zur „umweltbezogenen Partizipation“ (S. 60ff) mit dem anschaulichen Beispiel „Fleischkonsum“, aussagekräftige Spezialfälle zur Prüfung „commons-bezogener Partizipation“ zu diskutieren: Vielleicht wäre die Abfrage von Recycling- und Reparaturverhalten eine gute Idee.

Auf jeden Fall käme damit der zweite BMBF-Leitwert, Nachhaltigkeit, hervorragend zum Tragen.

Vergleichbare Überlegungen wären hinsichtlich der Blogsphäre anzustellen. Bzw. hinsichtlich dessen, was von diesere übrig geblieben ist nach ihrer Boomphase vor etwa 10 bis 15 Jahren. Das Panel hat sie, soweit ich sehen kann, noch nicht im Blick. Blogs und Kollektivblogs waren die Publikationsform, die das Monopol der klassischen, nicht-digitalen Meinungsbildungsmedien aus dem Internet heraus endgültig, weil massenwirksam aufbrachen. Und sie ermöglichen und verwirklichen nach wie vor selbstbestimmte Publikationstätigkeit. Ja: Sie geben mittlerweile nicht mehr den Ton an. Die Blogosphäre war nur sehr eingeschränkt kolonisierbar, war kaum in ein Online-Geschäftsmodell transformierbar: Dafür war und ist es zu einfach, mit einer FOSS-Blog-Software einfach selbst loszulegen. Stattdessen gelang es den Plattform-Konzernen mit aufmerksamkeits-ökonomischen Methoden, die tendenziell längeren, damit wenigstens von der Publikationsform her möglicherweise substanzielleren und anspruchsvolleren Blogs aus dem Zentrum des Mainstreams zu verdrängen. Aber es gibt sie nach wie vor, sie werden geschrieben und gelesen von aktiv und selbstbestimmt nach Inhalten stöbernden (wir nannten es einst: surfenden) Nutzer_innen. Das sollte ausreichen als Begründung, auch sie in eine Untersuchung über Mediennutzung und demokratische Partizipation im Internet miteinzubeziehen.

 

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