Konferenz der Europäischen SoziologInnen-Vereinigung 17/18 Oktober 2014
Die Konferenz, die in der Universität von Bukarest stattfand, hatte als heimliches Motto die Überschrift des neuen Buches von Christian Fuchs – einem der MitorganisatorInnen: „occupy the media!“ Die Frage war natürlich wie dies zu bewerkstelligen sei und wie insbesondere SoziologInnen und JournalistInnen sowie MedienaktivistInnen dazu beitragen können, wenn ihre Profession in vielerlei Hinsicht zugleich betroffen ist? Wie kann es gelingen, quer zum neoliberalen Mainstream zu berichten und zu forschen?
Den Anfang machte Peter Ludes mit seinem Vortrag über die Notwendigkeit einer kritischen visuellen Theorie: „Critical“ visual theories, joining forces with wistleblowers and critical media professionals, should discover systematic neglects and hidings and allow for an ongoing critique of nantionalism, power, exloitation, and manipulation“ (Ludes 2014: booklet der Tagung), schreibt er. Visuelle Darstellungen in Medien repräsentieren vor allem die nationalistischen Perspektiven weniger Supermächte und ihrer Themen und Akteure, so Ludes. Nicht repräsentiert würden sowohl die 1 Prozent Reichen dieser Welt, die 46 Prozent des Reichtums besitzen, sowie die Milliarden Menschen, die in Armut leben. Peter Ludes plädiert daher für mehr unabhängige wissenschaftliche Forschungen zu „visuals“ und „usually hidden visual conventions“, um die Widersprüche und dahinter stehenden hegemonialen Interessen offenzulegen. „Visuals“ würden bisher nicht genügend ernst genommen, obwohl mit den digitalen Medien ihre Verbreitung noch einmal zugenommen hat. Viel Geld fließe bereits in ihre Erforschung – allerdings für marktstrategische Analysen und PR Studien im Politikbereich und nicht für eine kritische wissenschaftliche Erforschung.
Christian Fuchs stellte im Anschluss sein Buch „occupy the media“ – eine wissenschaftliche Studie über die occupy Bewegung und ihren Mediengebrauch – vor. Er schreibt: „The Occupy movement expresses through its struggles that another society is needed and possible. A public service and commons-based internet is possible because it is needed. Such an Internet communalizes the ownership of platforms and thereby helps establishing truly social media that benefit not just an elite, but can advance the public good and the common interests of all” (Fuchs 2014: 161). Christian Fuchs macht hier einige praktische Vorschläge zur (Re-) Kommunalisierung und De-Kommerzialisierung digitaler Medien.
Das passt gut zu den Aktivitäten im Kontext des Weltforums für freie Medien, wie es aus dem Weltsozialforumsprozess hervor gegangen ist. Momentan wird hier eine Charta der Freien Medien debattiert, die als Grundlage für eine Definition unabhängiger Medien zur allgemeinen Verfügung und kritischen Information dienen soll. Die Widersprüche in der aktuellen Politik linker Regierungen in Lateinamerika mit progressiven Mediengesetzgebungen, die auch alternative Medien (und Community Radios) für staatliche Förderung vorsehen, lassen hier einige Fragen aufkommen. Wie emanzipativ etwa ist die neue Internet-UserInnen Gesetzgebung in Brasilien, die UserInnenrechte festschreibt, wenn dahinter auch der Versuch Brasiliens als neuem regionalem Imperium steht, mit einem eigenen globalen Internetverbindungssystem die Kontrolle der USA mit der eigener Kontrolle zu ersetzen? Und in welchem Kontext können Kommunikationsrechte-Kampagnen in der derzeitigen Situation von Krieg und allgemeinem Backlash – drei Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings in Nordafrika und im Mittleren Osten – noch erfolgreich sein? Und woran ließe sich ihr Erfolg messen (Plöger 2014: Input)?
Die russische Journalistin Olga Baysha stellte sich ebenfalls die Frage, was in der derzeitigen politischen Lage Russlands und der Ukraine der Beitrag von kritischen JournalistInnen sein kann oder sein sollte. Zerrieben zwischen den verschiedenen Fronten und marginalisiert in der eigenen Profession als kritische JournalistInnen, die eine neoliberale ökonomische Entwicklung kritisch sehen, ist die Rolle nicht leicht zu finden. Frau Baysha fragte sich auch wie es dazu kommen konnte, dass in den ehemals sozialistischen Ländern so eine unkritische Haltung zur neoliberalen Wirtschaftsdoktrin die öffentlichen Diskurse prägt.
Dies wurde auch insbesondere durch KollegInnen aus Rumänien – JournalistInnen und WissenschaftlerInnen – in der öffentlichen Abendveranstaltung bestätigt. Romina Surugiu, ebenfalls Mitorganisatorin der Konferenz, die vor ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als Journalistin gearbeitet hat, sieht Antworten weniger in der neuen Technik der digitalen Median als vielmehr in einer Neoliberalisierung der Arbeitswelt an sich und der Medienschaffenden im Besonderen. Dane S. Claussen, der derzeit in Shanghai/ China lehrt und lange als Journalist im Wirtschaftsressort gearbeitet hat, sieht ein Versagen sowohl der AusbilderInnen als auch der JouranlistInnen selbst, die ihr Metier in Richtung Infotainment umdefiniert hätten.
Costi Roguzanu von der alternativen Medienplattform criticatac.ro stellte die Arbeit der Plattform vor, die der mythologischen Überhöhung neoliberaler Doktrin widerspricht. Andere sagen, dass der EU Beitritt Rumäniens im Allgemeinen trotz Austeritätsprogrammen als große Chance gesehen werde, für die in der Krise Opfer gebracht werden müssten und seien es die Söhne und Ehemänner, die in Afghanistan und im Irak große Kontingente der Nato stellen.
Doch wie lässt sich die mangelhafte Aufklärung in Mainstreammedien und die marginale Position von alternativen Medien erklären aus transnationaler Perspektive erklären? Dazu stellten verschiedene SoziologInnen Studien zu den Arbeitsbedingungen im aktuellen Journalismus, Call Centern, Programmierern und der Produktion vor. In einem Panel zu „Digital Media and Capitalism Today“ waren sich Andreas Wittel und Joss Hands weitgehend einig, dass eine Lösung für die Ausbeutungsverhältnisse und die mangelnde Organisation im Sektor der digitalen Medien ein globales bedingungsloses Grundeinkommen sein könnte – was zwar nicht vorstellbar sei in der derzeitigen politischen Situation, aber es mache trotzdem Sinn über die bestehenden Verhältnisse hinauszudenken und Konzepte für eine post-kapitalistische Gesellschaft oder für eine Transformation zu einer nicht auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaft zu entwickeln, wobei man in dieser wohl dann kein Grundeinkommen so dringend bräuchte, so Joss Hands.
Martin Eynard aus Argentinien und Jaka Primorac aus Kroatien wussten Ähnliches über die Arbeitsbedingungen in den neuen Industriezweigen von Filmindustrie bis Call Center zu berichten. Die Rund-um-die-Uhr Dienstleitung unter Beobachtung und in mehreren Sprachen für Anbieter von verschiedenen Kontinenten wird in den Arbeitskämpfen argentinischer Call Center ArbeiterInnen in einem Graffiti durch das Aufbohren eines Kopfes dargestellt.
Im Fokus der Konferenz stand auch die wissenschaftliche Bestandsaufnahme des Status quo aus transnationaler Perspektive mit der neuen Hindu-nationalistischen Regierung in Indien, der Nazipartei Golden Dawn in Griechenland und der nationalistischen und rassistischen Jobbik in Ungarn. Padmaja Shaw legte dar, wie der neue Präsident Narenda Modi sich als „omnipresent, omniscient leader“ installieren konnte und kritische Stimmen sowie die parlamentarische Opposition marginalisiert hat. George Pleios, ebenfalls einer der Mitorganisatoren der Konferenz, erklärte den rasanten Aufstieg der Nazi-Partei (nicht Neo-Nazi, sondern direkt die Nazi-Ideologie und Mythologie bemühenden, so Pleios) „Goldene Morgenröte“ und die Nutzung von Social Media dabei. Dazu passend lieferte eine vorstellte Studie aus Ungarn über die Entwicklung des Diskurses der „Jobbik“ Partei bezüglich Roma eine Erklärung für die PR Erfolge aktueller europäischer nationalistischer und (neo-) nazisitischer politischer Strömungen.
Die Frage, die die Konferenz stellte: Erneuerung, Reform oder Revolution nach der globalen kapitalistischen Krise lässt sich nicht so leicht beantworten. Der Aufbau gegen-hegemonialer Strukturen und die Konsolidierung kontemporärer Proteste und ihrer medialen Ausdrucks- und Kommunikationsformen zu funktionsfähigen Netzwerken ist ein Mangel für emanzipatorische soziale Bewegungen, so viel wurde m.E. deutlich. Während nationalistische und (neo-)nazistische Strömungen (digitale) Medien in den Dienst des Aufbaus von Strukturen wie Parteien gestellt haben, verstanden es emanzipatorische Bewegungen zwar, digitale Medien und öffentliche Mobilisierungen zur Verbreiterung des Protests zu nutzen und Repressionen zu unterlaufen, aber längerfristige Strukturen wurden kaum geschaffen bzw. ihr Aufbau kritisch gesehen. Möglicherweise bedarf es einer Weiterentwicklung der kontemporären sozialen Bewegungen und ihres Verständnisses von politscher und medialer Repräsentation, das den Weg für den Aufbau längerfristiger Strukturen freimachen könnte. Dies wäre im Weiteren kritisch zu diskutieren.