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Die Veranstaltung stellte sich heraus als öffentlich eingeladenes Treffen der LAG Netzpolitik. Nach kurzen Inputs von mir selbst (Linux-Migration: Was ist in München schiefgegangen; was hat die RLS vor; einige weiterführende Beispiele in kleineren Behörden und Kommunen) und von Tobias Schulze (MdA) mit einem Überblick über die Geschichte und den derzeitigen Stand von eGovernment in Berlin ergab sich eine lebendige Gruppendiskussion. Zum Einlesen hatte ich ja Linux in München und Das Microsoft-Dilemma empfohlen. Nebenbei die neueste Neuigkeit zu München: Der Beratungskonzern, der das sog. Gutachten angefertigt hat, mit dem die Rückabwicklung der Migration zurück zu Windows begründet wird, und der schon seit fast 20 Jahren eng verbandelt ist mit Microsoft, hat jetzt ein Service-Joint-Venture mit Microsoft gegründet – sicherlich spielten die zu erwartenden öffentlichen Aufträge in München dabei keine Rolle… Einige Themen, die wir unterschiedlich kontrovers diskutiert haben, nehme ich hier noch einmal auf, um sie ausführlicher zu kommentieren, als das im Gespräch möglich war.

Verwaltung ist nicht Multiple Choice

Es mag banal klingen, aber es scheint nötig betont zu werden: Verwaltungshandeln lässt sich – und das ist ein plattform-unabhängiges Problem – nicht auf ein Flussdiagramm von Multiple-Choice-Tableaus reduzieren. Da waren wir uns einig, als aus der Runde einige Beispiele aus der Verwaltungspraxis gekommen waren und auch eine Lösung vorgeschlagen wurde: Freitextfelder. Es muss für die pi-mal-Daumen zwei Prozent nicht der Norm entsprechenden Fälle auf jeder Ebene des digitalisierten Arbeitsprozesses die Möglichkeit geben, Freitext abzulegen – und zwar mehr als im Umfang einer SMS oder eines Twitter-Posts. Ohne obligatorische Freitextfelder bekommt jede Verwaltungsdigitalisierung automatisch Rationalisierungscharakter: Die Sonderfälle werden wegrationalisiert. Die Verwaltung kann keinen Ermessensspielraum mehr ausspielen. Oft fallen gerade die gesellschaftlich Schwachen aus der Norm und stellen für die Verwaltung Sonderfälle dar, die als Einzelfälle behandelt werden müssen. Ohne Freitext kann die Verwaltung in solchen Fällen aber gar nicht mehr einzelfall-angemessen handeln, selbst wenn sie wollte.

Linux auf dem Behörden-Desktop in Berlin

Um der Diskussion einen grundsätzlicheren Charakter zu geben, erinnerte ich daran, dass es in den Jahren 2001 bis 2007 in Berlin einen ersten Anlauf zur Migration hin zu Open Source Software gegeben hatte. Die Initiative war damals vom Abgeordnetenhaus aus (mit rot-roter Mehrheit) ausgegangen, hatte zu einem laut Projektbericht der Firma Novell erfolgreichen Modellprojekt (Schöneberg) geführt, war vom Innensenat (Senator Körting (SPD), zuständiger Staatssekretär Ulrich Freise (SPD)) jedoch negativ bewertet worden und schließlich im Fachausschuss des Parlaments dann wieder beerdigt worden (rot-rote Mehrheit überstimmt grünen Einführungsantrag).

Hintergrundinformationen zu Linux in der Berliner Verwaltung liefert eine Themenseite mit geleakten Dokumenten bei netzpolitik.org, eine Serie von Überblicksartikeln bietet heise.de. Tobias selbst hat mit einer Anfrage den Stand des Einsatzes von Open Source Software in Berliner Behörden 2017 dokumentiert.

Meine Frage, warum hier nicht angeknüpft wird, ob es sich vielleicht sogar um ein langfristig vergiftetes Thema handelt, denn der parlamentarische Vorgang ist ja einigermaßen erstaunlich, führte das Gespräch auf das Hauptziel der derzeitigen Berliner Digitalisierungsbemührungen: Zentralisierung.

IT-Zentralisierung

Tobias hob in seiner Darstellung und in seinen Debattebeiträgen immer wieder darauf ab: IT-Zentralisierung auf Landesebene – unter dem Dach der ITDZ und unter der Leitung der IT-Staatssekretärin Sabine Smentek – sei das vorrangige Ziel („erst Zentralisierung abschließen, das dauert mindestens 5 Jahre, dann können wir weitersehen“). An dieser Setzung, auch wenn sie Resultat von Beschlüssen ist, die unter Schwarz-Rot gefällt wurden, und die jetzt von einer SPD-IT-Staatssekretärin durchgesetzt wird, die ihr Handwerk beim Beratungskonzern Price Waterhouse gelernt hat, hatte ich am meisten zu knabbern. Warum wird mir eine solche Zentralisierung hier als alternativlos verkauft?

Das zentrale Argument für Zentralisierung – unabhängig von der Migrationsfrage – lautet „Steuerungsfähigkeit“. Schon das leuchtet mir in Zusammenhang mit der Festlegung auf Microsoft Windows und Office als proprietärer und kommerzieller Plattform nicht ein.

Erstens droht der Lock-In: Funktionsweise, Sicherheit und Stabilität der IT-Infrastruktur werden durch einen einzigen Akteur bestimmt. Die Bindung an diesen Akteur ist alternativlos, weil der Wechsel zu einem anderen Anbieter zu teuer oder aufgrund nicht exportierbarer Daten gar nicht mehr möglich wäre. Der privatwirtschaftliche Akteur aber ist in erster Linie seinen Aktionären verpflichtet. Der Gebrauchswert (digitales Verwaltungswesen) ist ihm nur Mittel zum Zwecke seiner eigenen möglichst günstigen “Marktperformance” und zum Erhalt seiner Stellung als Quasi-Monopolist. Vor diesem Hintergrund kann ein Großkonzern wie Microsoft nicht nur die Lebensdauer seiner “Soft-Ware” beliebig setzen. Im Zusammenspiel mit den Geräteherstellern gilt das auch für die Lebensdauer der Hardware: Ressourcentechnisch ist die zyklische Ausmusterung voll funktionsfähiger Geräte (wegen fehlender “Hardware-Voraussetzungen”) der GAU. Ich frage mich, wo in einer derart gebundenen IT-Architektur die kommunale Steuerungsfähigkeit zu erwarten ist – allenfalls als eine Steuerungsfähigkeit von Microsofts Gnaden. Oder anders: Wer steuern will, muss zahlen. Und Microsoft bestimmt den Preis. Verantwortlicher Umgang mit öffentlichen Geldern im allgemeinen und öffentliche IT-Souveränität im Besonderen sieht meines Erachtens anders aus.

Zweitens: Stichwort Black Box. Wie kann ich etwas steuern, wovon ich gar nicht weiß wie es eigentlich funktioniert? Es gilt sowohl der demokratie-theoretische Einwand: Öffentliches Handeln, mithin Verwaltungshandeln muss in seinen Regeln und Verfahren nachvollziehbar sein. Das ist geschlossener Code per definitionem nicht. Wie die Software im einzelnen funktioniert, bleibt den Betroffenen – sowohl auf der Seite der Verwaltenden wie auf der Seite der Verwalteten – eine Black Box. Der Konzern macht den Schutz seines sogenannten geistigen Eigentums geltend. Wenns ums Trinkwasser geht, ist uns klar: Der Privatanbieter von kommunaler Wasserversorgung neigt dazu, gutes lokales Wasser so lange mit Dreckwasser zu panschen, bis der Grenzwert gerade noch eingehalten ist und füllt den ungepanschten Rest in Flaschen ab, um ihn uns für das Vielfache wieder zurück zu verkaufen. Mit Software arbeiten wir, verwalten unsere Leben damit, organisieren unsere Produktion (auch die ganz materielle) damit usw.: All das sind streng genommen kritische Infrastrukturen, ohne die wir nicht leben oder für ein besseres Leben kämpfen können. Auch hier sollte uns also interessieren, was “drin” ist. Die in den geschlossenen Code proprietärer digitaler Infrastrukturen eingeschriebenen Eigentumsverhältnisse bedeuten Kontroll- und Verfügungsmacht („Steuerungsfähigkeit“). Diese liegt in den Händen von Experten. Schlimm genug. Dass das die Experten eines kapitalistischen Großkonzerns sein sollen, ist politisch inakzeptabel. Und da ändern auch Freitextfelder nichts daran.

Mir leuchtet der Zentralisierungsvorrang aber auch als Argument gegen eine Migration nicht ein. Erstens: Warum kann im Zuge einer Zentralisierung, die ja eh massive technische Umstellungen bedeutet, nicht auch die zentrale Bereitstellung der Menüoption „Linux-Desktop“ miteingeplant werden? Zweitens: Warum überhaupt Zentralisierung in der Festlegung auf eine einzige und dann auch noch kommerziell-exklusive Plattform? Kein Flächenstaat käme auf die Idee, seinen Kommunen zentrale Vorgaben hinsichtlich ihrer IT-Strategie zu machen. Angebote ja: etwa eine Einkaufsgemeinschaft, um dort, wo es zwingend notwendig ist Lizenzen zu kaufen, besser verhandeln zu können. Auch mehrere, funktional gleichwertige Basis-Clients auf unterschiedlichen Plattformen zentral zu konfigurieren und zur Auswahl anzubieten, würde mir einleuchten. Dann könnten nämlich funktionale Verwaltungseinheiten nach dem Inhalt ihrer Arbeit, also zweckorientiert, selbst entscheiden, auf welcher Plattform sie aufsetzen und wie sie die proprietären und freien Werkzeuge kombinieren. Derartige Menüerweiterung führt zu Digitaler Barrierefreiheit. Eine Uminterpretation der Zentralisierung in diesem Sinne – wenn nötig auch in Opposition zur Staatssekretärin – würde ich mir wünschen. Nebenbei: Nicht nur von den Linken im Abgeordnetenhaus, sondern auch von den Grünen.

Jegliche Debatte zum Thema Zentralismus deckelnd kommt spätestens hier der Hinweis auf den Personalmangel, man schaffe schon die Zentralisierung einer Plattform wohl nicht rechtzeitig. Aber: Dann stellt doch bitte Leute ein. Und wenn Ihr keine findet, dann erzählt uns nicht, dass es keine gibt. Das ist die neoliberale Mär vom Fachkräftemangel, die auf ein nach Nützlichkeit selektierendes Einwanderungsrecht und die Förderung von brain drain in schwächeren Volkswirtschaften hinausläuft. Jeder Linke weiß hingegen, dass es auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt lediglich eine Frage des Preises ist, ob ich die Arbeitskraft einzukaufen kriege, die ich suche. Womit wir beim angeblich fehlenden Geld wären. Geld ist aber genug da. Es muss eben nur in Menschen investiert werden, statt in irre Großinvestitionen und Schuldendienst. Öffentlicher Dienst ist Teil öffentlicher Daseinsvorsorge. Es ist Aufgabe der Linken, diese zu garantieren und ggf. aufzubauen, statt sie abzubauen, wie schon unter Rot-Rot unter Wowereit anfang des Jahrtausends.

BerlinPC

Unerfreulich auch: Der BerlinPC werde ein Microsoft-PC. Nach wie vor verschleiert dies der Wust der offiziellen Dokumente zum Beschluss und zur Planung dieses „standardisierten IT-Arbeitsplatzes“ (www.berlin.de), vgl. auch die IKT-Architekturliste der Innenverwaltung Berlin. Während auf Arbeitsebene Fakten geschaffen werden: Die Festlegung auf Microsoft sei in einem kleinen Expertengremium getroffen worden. Meine Meinung: Entlang der herstellerunabhängig formulierten Kriterien der Beschlüsse der demokratischen Gremien (vgl. Anforderungskatalog an BerlinPC) wäre auch jede andere Plattform möglich gewesen. Den BerlinPC als Wahlmöglichkeit zwischen zwei nicht nur kompatiblen sondern im Bedarfsfall sogar austauschbaren Plattformen zu denken, wurde offensichtlich nicht einmal erwogen. Technisch wäre es keine Problem, auf der Basis offener Schnittstellen, Protokolle und Dateiformate funktional identische Plattformvarianten z.B. dreier verschiedener Hersteller zentral anzubieten. Bei mehr als 80.000 Arbeitsplätzen würde sich der Aufwand hier sicherlich lohnen.

Offene Schnittstellen, Protokolle und Dateiformate

Hinsichtlich offener Schnittstellen, Protokolle und Dateiformate waren sich alle einig. Das muss sein. Betont wurde die strategische Bedeutung offener Dateiformate als verpflichtendes Feature bei Ausschreibungen – auch für den proprietären BerlinPC. Wäre Microsoft gezwungen, in seiner Lösung für den „standardisierten IT-Arbeitsplatz“ etwa in seiner Textverarbeitung ODT- oder in der Tabellenkalkulation ODS-Dateien usw. korrekt aus- und einzuspielen, dann wäre die Menüerweiterung um Open Source Software wenigstens auf der Anwendungsebene sogar mit einem proprietären BerlinPC machbar. Die Gefahr eines Lock-In wäre wesentlich geringer. Die Verhandlungsbasis, wenn es um die immer wiederkehrenden Lizenzkosten geht, wäre wesentlich besser, wenn die reale Option bestünde weg zu migrieren, da ja Daten, Dateien und Verfahren in offenen Formaten vorliegen und mitgenommen werden könnten.

Bildungspakt/Schuldigitalisierung

Schließlich war ich im Zusammenhang mit dem digitalen Bildungspakt zwischen den Ländern und dem Bund sehr froh über eine klare Ansage von Tobias, sinngemäß: Bei uns ruft alle drei Wochen Apple an und will die Schüler und Schülerinnen hier in der Stadt mit seinen Pads ausstatten, natürlich gegen Bezahlung. Aber mit uns wird es keine Ausstattung der Schulen mit den Geräten eines einzelnen Herstellers geben. Stattdessen sei es sinnvoll – so der Tenor in der Diskussion -, die Gelder in vernünftige Lehrmaterialien und in Lehrkräfte zu investieren. Warum es gerade auch im Bildungsbereich Offenheit braucht, fassen die Beiträge des Sammelbandes „Open Source und Schule“ zusammen. In diesem Sinne schlage ich als Gerätebasis für den Einstieg in die Digitalisierung des Lehrbetriebs den „Lernstick“ der Uni Bern vor, ein Debian-basiertes Live-System:

Der Lernstick ist eine mobile und sichere Lern- und Arbeitsumgebung für die Schule und daheim, die auf externen Speichermedien (z. B. USB-Sticks, USB-Festplatten, SD-Karten, …) installiert werden kann, so dass fast jeder beliebige Computer von diesen Speichermedien gestartet werden kann. So braucht es prinzipiell keine Festplatte mit installiertem Betriebssystem mehr. (Optional kann das System dennoch auf Festplatte installiert werden.) Damit ist der Lernstick eine ideale Plattform für so genannte «Bring Your Own Device»-Szenarien, bei denen Schülerinnen und Schüler, Studierende oder Lernende ihre privaten Geräte auch zu schulischen Zwecken nutzen. Das Lernstick-System benötigt einen Intel-kompatiblem Computer (sowohl Standard- als auch Apple-Computer) mit mindestens 512 MB Hauptspeicher.

Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit, Universität Bern

Das Softwarepaket ist auf dem neuesten Stand. Die zugrunde liegende Linux-Distribution Debian ist eines der größten, lebendigsten und solidesten Open Source-Projekte überhaupt. Die Zusammenstellung für den Lernstick wird derzeit in der Schweiz (Uni Bern/Fachhochschule Nordwestschweiz) aktuell gehalten und steht kostenlos zum Download. Bei Bedarf lässt sich auch proprietäre Software installieren, wenn sie in Debian-Linux-kompatibler Binärform vorliegt. Alle Dateien zum Selbst-Bauen des Lernsticks stehen in einer Versionsverwaltung öffentlich zur Verfügung. Die Weiterverwendbarkeit und -entwickelbarkeit des Lernsticks ist damit gewährleistet, auch falls in der Schweiz die Arbeit an dem Projekt eingestellt wird.

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