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Heute fang ich mal Off-Topic an hier (verspreche aber eine software-politische Pointe): Erklärungsbedürftig sind die Wahlerfolge der „im Kern faschistischen“ Alternative für Deutschland ja doch. Denn wie fragt schon der Achtjährige: Warum kriegen die denn so viele Stimmen, so viele Reiche gibts doch gar nicht? Schon der Kurze ahnt den Zusammenhang: Auch mit der AfD wird an der Politik für die Reichen, Mächtigen, Vermögenden, wird an Ausbeutung nichts geändert werden (an profitabler Naturzerstörung erst recht nicht). Die Löhne z.B. der Kindergärtnerinnen werden nicht erhöht, der Beruf durch eine bessere Ausstattung nicht attraktiver werden. Die Sozialpolitik der AfD ist im Kern neoliberal. Das ist kein Geheimnis. Auch parlamentarisch handelt die AfD alles andere als alternativ. Aber das AfD-Paradox ist den Betroffenen anscheinend egal. Wie funktioniert das also? Der Humangeograf Dominik Intelmann formuliert in der Wochenendausgabe des ND eine einleuchtende Erklärung für den Rechtsruck im Osten:

Mit der Wiedervereinigung wurde das ehemalige Volkseigentum der DDR umverteilt. Etwa 85 Prozent des Wertes der Produktionsmittel gingen an westdeutsche Privateigentümer*innen, etwa 10 Prozent an ausländische und etwa 5 Prozent an ostdeutsche. Dieser Entwicklungspfad hat Ostdeutschland zu einer Region ohne lokale Bourgeoisie gemacht, die bis heute von westdeutschen Entscheidungen und Transferleistungen abhängig ist. …

Die Erfahrungen der Bevölkerung vor Ort haben bis heute gezeigt, dass ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht viel zu machen sei – selbst wenn sonst einiges passiert. Die Erfahrung mangelnder Handlungsfähigkeit sei kein mit der Zeit verblassendes Phänomen des Anschlusses der DDR an die BRD, sondern bestehe in den gegenwärtigen Eigentumsverhältnissen weiter. Intelmann argumentiert weiter mit Holzkamp („Handlungsfähigkeit“) und von Redecker („Phantombesitz“):

Nach dem Psychologen Klaus Holzkamp kann man Handlungsfähigkeit auf zwei verschiedene Arten herstellen: als verallgemeinerte, solidarische Handlungsfähigkeit, die darauf abzielt, dass alle mehr Handlungsfähigkeit gewinnen – oder als restriktive Handlungsfähigkeit unter Akzeptanz von Konkurrenzverhältnissen, bei der es darum geht, auf Kosten anderer handlungsfähig zu werden. Solidarischem Handeln in diesem Sinne trauen viele im Osten keine Wirksamkeit mehr zu. Restriktive Handlungsfähigkeit erscheint hingegen als die einzig realistische. Und dieses Angebot macht unter anderem die AfD.

Handlungsfähigkeit ist in den gegebenen Verhältnissen maßgeblich mit der Kontrolle über Privateigentum verbunden. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Die Philosophin Eva von Redecker macht darauf mit dem Begriff des »Phantombesitzes« aufmerksam, den sie insbesondere für die Analyse des Patriarchats geprägt hat. Demnach suchen Menschen, die strukturell besitzlos sind, nach Ersatz für dieses Vorenthaltene: das Erleben von Kontrolle, wie es das Privateigentum verspricht. … Das beginnt bereits, wenn Menschen darüber bestimmen wollen, wie sich vermeintliche Ausländer*innen bewegen oder wo sie sich aufhalten dürfen.

Auf die Frage nach den Stellschrauben gegen dieses Phänomen antwortet Intelmann mit dem Hinweis auf Vergesellschaftung und bringt das Berliner Beispiel »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Hier kann ich jetzt mit meiner Netzfueralle-relevanten Pointe anschließen: Es gibt sie doch, die vergesellschafteten Produktionsmittel – schon heute und auch über den immobilen Vergesellschaftungstraum in der Berliner Nische hinaus: FOSS, Freie und Open Source Software. Eine Politik, die schon in den Schulen, aber auch in der öffentlichen Vergabepraxis und in der Demokratie– und Wirtschaftsförderung auf Freie Software setzt und die Monopolisten und Social-Media-Konzerne mit ihren Geräten, Plattformen, Betriebssystemen etc. gezielt und bewußt benachteiligt oder oder am besten ganz ausschließt, dürfte sich antifaschistische Digitalpolitik nennen: Denn auch digitale Handlungsfähigkeit ist Handlungsfähigkeit. Und sie geht nicht mal auf Kosten anderer (sehen wir von den Shareholdern der Monopolkonzerne ab). Wer wenigstens seine softwareförmigen Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge und Produktionsmittel sein „eigen“ nennen und sich in der Arbeit damit und daran austoben kann, der oder die ist vielleicht auch im sonstigen Alltag etwas weniger anfällig für die Einladung zum Treten nach unten und Gewalt gegen „Phantombesitz“.

Abschließend noch eine Anmerkung zu einer digitalpolitischen Debatte, die ich mit dem hier Dargestellten mindestens streife: Die Digitalisierung gibt es nicht. Kapitalistische, konzern- und kontrollstaatsgetriebene Digitalisierung mag vielleicht mitverantwortlich sein für das oben beschriebene Ohnmachtsgefühl und in einen digitalen Autoritarismus münden. Aber es gibt die andere Digitalisierungsie bzw. es könnte sie in größerem Stile geben, auch im Bereich AI (vgl. auch gpt4all). Und daher hat Anne Roth recht, wenn sie der These von der Faschisierung durch die Digitalisierung entschieden entgegentritt. Faschisierung durch das Wirken und im Interesse der Monopolkonzerne, das ja. Aber das ist etwas anderes und nun wirklich nichts neues. Nur die Leitbranchen haben sich gewandelt.

 

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